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Mannheim: Das sagen Ökonomen und Soziologen über die Soziale Marktwirtschaft

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Von Barbara Klauß

Mannheim. Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel: Die Welt ändert sich rasant. Gesellschaft und Wirtschaft müssen dem begegnen. Wie kann das gelingen, ohne dass Wirtschaftskraft und Menschen in diesem Land auf der Strecke bleiben? Bietet unsere Soziale Marktwirtschaft noch den richtigen Rahmen? Kann die Idee der freien Wirtschaft einerseits und der sozialen Absicherung andererseits angesichts von Automatisierung und Internetgiganten noch funktionieren? Ist der "Wohlstand für alle" im Sinne Ludwig Erhards noch möglich?

ZEW-Präsident Achim Wambach meint: Ja. Bei einer Diskussion der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung beim Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim wertet er die soziale Marktwirtschaft als Erfolgsgeschichte: "Es ist doch unglaublich, wie erfolgreich Deutschland ist, wie erfolgreich die westliche Welt ist!" Wenngleich die Wirtschaftsordnung derzeit einem Stresstest unterzogen sei.

Wambach illustriert das am Beispiel der Digitalisierung. Statt fairen Wettbewerbs entstehen durch Konzerne wie Google, Amazon oder Facebook Monopole. Und die Sozialpartnerschaft, in der Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Jahrzehnte die Lohn- und Arbeitsbedingungen ausgehandelt haben, wird durch das neue Clickworkertum untergraben – also durch Menschen, die über das Internet Aufträge für Unternehmen übernehmen, ohne dort angestellt zu sein. "Da haben Gewerkschaften natürlich einen schweren Stand", so Wambach.

Dennoch: Der ZEW-Chef bleibt optimistisch, dass der "digitale Wohlstand für alle" möglich ist. Mögliche Hebel seien eine angepasste Wettbewerbspolitik und Kartellverfahren gegen die Internetriesen. "Wir sind nicht machtlos", erklärt er. Auch der Idee einer internationalen Mindeststeuer für global agierende Konzerne, für die sich die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stark macht, verschließt er sich nicht – fügt jedoch hinzu: "Wir brauchen auch Steuerwettbewerb."

Auch beim Blick auf den Arbeitsmarkt bleibt Wambach optimistisch: Zwar werden seiner Einschätzung nach durch Digitalisierung und Automatisierung Tätigkeiten wegfallen – an anderer Stelle jedoch neue entstehen. Karl-Heinz Paqué, Professor für Volkswirtschaftslehre in Magdeburg und Vorsitzender der Naumann Stiftung, pflichtet ihm bei. Statt Massenarbeitslosigkeit erwartet auch er eher Arbeitskräfteknappheit. "Der demografische Wandel wird zuschlagen", erklärt Paqué. "Wo Fachkräfte knapp werden, werden die Arbeitnehmer eine Verbesserung der Löhne und der Arbeitsbedingungen finden."

Den "Wohlstand für alle" erwartet Klaus Dörre dennoch nicht: "Sozialen Ausgleich haben wir schon seit 30 Jahren nicht mehr", wirft der Professor für Wirtschaftssoziologie in Jena ein. Er spricht von steigender Ungleichheit, von der Prekarisierung der Arbeit durch die Plattform-Ökonomie, von der Marktmacht der Konzerne und der Schwäche der Gewerkschaften – und macht einen blinden Fleck im Konzept der sozialen Marktwirtschaft aus: die ökologische Frage.

Zum einen glaubt Dörre nicht daran, dass es mit den Mitteln des Marktes und einer leichten politischen Regulation gelingt, den weltweit steigenden CO2-Ausstoß zu senken. Zum anderen müsse die dringend notwendige ökologische Wende gerecht gestaltet werden. Als Beispiel führt er eine mögliche CO2-Steuer an – die diejenige überdurchschnittlich belaste, die in ländlichen Gebieten wohnen und für ihre Jobs auf das Auto angewiesen seien. Der Soziologe – der dafür plädiert, ökologische und soziale Aspekte ins Grundgesetz aufzunehmen – sieht enormen politischen Zündstoff. Er zeichnet ein düsteres Bild von einem "digitalen Überwachungskapitalismus", in dem das Soziale überhaupt nicht zum Tragen komme. Für ihn liegt die Lösung also nicht in der sozialen Marktwirtschaft, wie wir sie heute haben. Vielmehr stellt er die Idee in den Raum, große Unternehmen im Notfall zu sozialisieren. Der Volkswirt Paqué, der Dörre als "Traditionssozialisten" bezeichnet, warnt vor diesem "hochgefährlichen" Weg.

Wambachs Vorschlag für das ökologische Problem sieht gänzlich anders aus: Wachstum müsse – weltweit – auch mit weniger Ausstoß funktionieren, meint er. Das gehe nur über Forschung und Entwicklung. Und er bleibt dabei: Eine Lösung außerhalb der sozialen Marktwirtschaft könne es nicht geben.


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