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Mannheimer Handarbeit: Im Evobus-Werk entsteht der elektrische Stadtbus eCitaro

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Von Harald Berlinghof

Mannheim. Ringsum wird konzentriert geschraubt, geschweißt, geklebt. Die älteste Montagehalle im Mannheimer Evobus-Werk von Daimler aus dem Jahr 1910 steht mit ihrer Backsteinfassade unter Denkmalschutz. Im Innern ist alles hell erleuchtet, die "Werker", wie die Arbeiter bei Daimler bezeichnet werden, finden hochmoderne Arbeitsplätze vor. Und man staunt. Denn Roboter sind fast keine zu sehen. Weder in der Vormontage noch in der Haupt- und Endmontage. Der weltweit erfolgreiche Linienbus Citaro "Made in Mannheim" inklusive der Elektrovariante entsteht quasi in Handarbeit. Rund 14 bis 18 Busse verlassen so täglich das Mannheimer Buswerk, wo rund 880 Mitarbeiter in der Produktion beschäftigt sind. Unter ihnen sind gegenwärtig zwei Elektro-Citaros, genannt eCitaro. Man strebt an, die Produktion von Elektrobussen im nächsten Jahr zu verdoppeln, wie Philipp Heyne, Projektleiter Produktion eCitaro erläutert.

Der Mercedes-Benz eCitaro ist lokal emissionsfrei, leise und erfolgreich. Im Herbst 2018 hatte er Weltpremiere. Er profitiert von der Basis des herkömmlichen Citaro-Diesel-Linienbusses mit mehr als 50.000 verkauften Einheiten. Und der noch kein Jahr alte eCitaro ist ebenfalls ein echter Citaro mit all seinen bewährten Vorteilen, wie man bei Daimler versichert. Je nach Streckenprofil erzielt der eCitaro eine Reichweite von 170 Kilometern im Sommer. Das ist für viele Stadtbuslinien-Strecken ausreichend. Unter Idealbedingungen fährt er sogar 280 Kilometer weit ohne Aufladung.

Den Citaro gibt es in unzähligen Varianten, die sich bis in die kleinsten Details der Gestaltung und Ausstattung an den Wünschen der Kunden orientieren. Und es gibt ihn mit vier unterschiedlichen Antriebsarten: den herkömmlichen Diesel, mit Gas betrieben, vollelektrisch und als Diesel-Hybrid mit dazwischen geschaltetem Elektromotor. Alle Busse laufen hintereinander und bunt gemischt auf denselben Produktionslinien in drei verschiedenen Hallen. Das hat zur Folge, dass die "Werker" nicht ständig die selben Handgriffe erledigen müssen. Je nach Antriebsart und Ausstattung ist flexibles Arbeiten gefragt. Das nimmt der Arbeit viel von ihrer Eintönigkeit, stellt aber auch höhere Anforderungen an die Kenntnisse der Arbeiter.

Bevor das Gerippe des Busses als tragendes Stahlgerüst in die Vormontage geht, erfolgt eine so genannte Phosphatierung der einzelnen Teile. Dabei handelt es sich um ein weitverbreitetes Verfahren in der Oberflächenbehandlung. Es dient einem verbesserten Korrosionsschutz, einer verbesserten Anhaftung, einer Reib- und Verschleißminderung sowie der elektrischen Isolation. Nachdem die einzelnen Elemente zum Stahlgerippe des Citaro verschweißt sind, wird die gesamte Konstruktion in einer kathodischen Tauchlackierung noch einmal gegen Rost geschützt. Dazu wird das Gerippe 15 Minuten in einem 16 Meter langen, vier Meter breiten und sechs Meter tiefen Tauchbecken geschwenkt. Die oft hohlen Stahlprofile sind mit 1000 Bohrungen versehen, damit die Flüssigkeit jeden Quadratzentimeter des Metalls auch im Innern der Rohre und Träger erreicht. Die Bohrungen müssen so berechnet werden, damit keine Luftblasen in den Profilen verbleiben. Die Trocknung erfolgt bei 90 Grad, das Einbrennen bei 220 Grad Celsius.

Entlang der Produktionslinien, über welche die Busse gerollt, gezogen oder geschoben werden, wird auf zwei Ebenen gearbeitet. Dach und Seitenscheiben oder Unterboden und Innenraum können so gleichzeitig bearbeitet werden. In der Hauptmontagehalle erhalten die Busse auch ihr "Rückenmark" und ihre Intelligenz. Ein Kabelbaum mit insgesamt 150 Kilogramm Kabel wird zentral eingesetzt, ausgerollt und im Unterboden verbaut. Er zieht sich von der Fahrerkabine bis ins Heck. Die "Werker" sprechen vom "Rückenmark" des Busses, die Ingenieure vom "Querkanal".

In der dritten Montagehalle erfolgen die "Software-Beladung" und die Finishing-Arbeiten. Dazu gehören umfassende Tests, bevor das Fahrzeug die Halle verlässt. Vor allem die elektrische Anlage muss geprüft werden. Auch das Dachdesign, welches die bis zu acht Samsung-Batterien umhüllt und dem Bus ein aerodynamisches Aussehen gibt, wird hier angebracht. Kratzer in der Lackierung können im Mannheimer Werk ausgebessert werden. Ihre komplette Lackierung erhalten die Busse im Werk Neu-Ulm. Dorthin und wieder zurück nach Mannheim legen die Busse - per Bahn - ihre erste Reise zurück.


Weinheim: "Nora Systems" hält am Standort Weinheim fest

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Weinheim. (keke) Beide sind Weltmarktführer in ihrem Produktbereich: der Weinheimer Kautschuk-Bodenbelagshersteller "Nora Systems" und der von Ray Anderson 1973 gegründete US-amerikanische Teppichfliesenhersteller "Interface" mit Produktionsstandorten auf vier Kontinenten. Am 8. August 2018 hatte "Interface" das Unternehmen, das am Standort Weinheim derzeit 851 (Vorjahr 839) und im Ausland weitere 293 Mitarbeiter beschäftigt, für rund 360 Millionen Euro vom britischen Finanzinvestor "Intermediate Capital Group" (ICG) übernommen.

Durch die Fusion vereinigt der - gemessen an der Zahl seiner Mitarbeiter - nach dem Mischkonzern Freudenberg zweitgrößte Weinheimer Arbeitgeber und der in Atlanta beheimatete Branchenprimus ein gemeinsames Ziel: "Wir wollen das wertvollste Unternehmen für Innenraumausstattung sein." Dafür, dass man sich nicht in die Quere kommt, sorgt die gegensätzliche Ausrichtung. Während Interface hauptsächlich auf Hotels und Büros spezialisiert ist, liegen die Anwendungsbereiche für die "Nora"-Kautschukböden vor allem im Gesundheits- und Bildungswesen sowie im Industriebereich.

"Dennoch arbeiten wir seit der Übernahme unermüdlich an der Integration, die sich voraussichtlich noch bis in das Jahr 2020 hinein erstrecken wird", so die bisherigen "Nora Systems"-Geschäftsführerin Christa Hoffmann am Standort Weinheim und der "neue Mann an ihrer Seite", der Niederländer Ton van Keken, am Donnerstag bei der gemeinsamen Bilanzpressekonferenz in dem auf dem Freudenberg-Areal angesiedelten "Welcome"- und Schulungs-Center. Der 58-jährige van Keken, der seine berufliche Laufbahn bei der niederländischen Luftwaffe begonnen hatte, nimmt neben seiner Geschäftsführertätigkeit in Weinheim zusätzlich Führungsaufgaben in dem in der Nähe von Utrecht gelegenen "Interface"-Werk Scherpenzeel mit 350 Mitarbeitern wahr.

Mit "Interface" habe man den optimalen Partner gefunden, erläuterten Hoffmann und Ton van Keken in der Rückschau auf ein "turbulentes, aber erfolgreiches Jahr mit riesigen Veränderungen" die finanzielle Seite beider Unternehmen vor und nach der Fusion. Während "Interface" 2018 seinen Nettoumsatz gegenüber dem Vorjahr um 18 Prozent auf 1,2 Milliarden US-Dollar steigerte, erhöhte sich der Umsatz bei "Nora Systems" im Vergleich zum Vorjahr um 0,8 Prozent auf 231 Millionen Euro. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen blieb mit 37,4 Millionen Euro fast konstant. Im laufenden Geschäftsjahr rechnet "Nora" bei Umsatz und Gewinn weiterhin mit einem "gesunden Wachstum".

"Auch die Investitionen am Standort Weinheim wurden fortgesetzt", so Hoffmann. Hier wurden 2018 rund 6,2 Millionen Euro für neue Anlagen und technische Innovationen ausgegeben. Für das laufende Geschäftsjahr sind hierfür noch einmal acht Millionen vorgesehen. An eine Verlagerung der Produktion von Weinheim in die USA denke in der Geschäftsführung von "Nora by Interface" niemand, so Ton van Keken.

Zwar stelle Nordamerika umsatzmäßig für "Nora" mit gut 41 Prozent wie für "Interface" mit 55 Prozent den wichtigsten Absatzmarkt dar. Auf der anderen Seite sei die Herstellung von Kautschuk-Bodenbelägen teuer und erfordere darüber hinaus hohe Fachkompetenz. "In Weinheim verfügen wir über genügend Kapazitäten, um eine weiter steigende Nachfrage befriedigen zu können", so Hoffmann.

Gleichfalls gut zu wissen: "Interface" zählt zu den Branchenvorreitern in Sachen Nachhaltigkeit. Zentrale Eckpfeiler zu diesem Thema sind die Initiativen "Mission Zero" zur Reduzierung der Umweltauswirkungen sowie "Climate Take Back", die das Engagement für die Umkehrung der globalen Erwärmung behandelt. Als Teil von "Interface" werde "Nora Systems" ab sofort nach und nach in alle Nachhaltigkeitsprogramme einbezogen, um auf die gleichen Ziele hinzuarbeiten, so Ton van Keken. In einem ersten Schritt werden sich dabei spezielle Teams darauf konzentrieren, den CO2-Fußabdruck des gesamten Produkt-Lebenszyklus weiter zu reduzieren, um Klimaneutralität zu erreichen.

Neckarsulm: Lidl und Kaufland knacken Umsatz-Grenze von 100 Milliarden Euro

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Neckarsulm. (dpa-lsw) Die Schwarz-Gruppe, die mit Lidl und Kaufland einer der größten deutschen Lebensmittelhändler ist, hat dank eines starken Auslandsgeschäfts 2018 mit ihren Umsätzen die Marke von 100 Milliarden Euro geknackt. Die beiden Töchter Lidl und Kaufland verbuchten zusammen ein Plus von 7,4 Prozent auf 104,3 Milliarden Euro, wie die Handelsgruppe am Montag in Neckarsulm mitteilte.

Das größere Plus wies der Discounter Lidl mit einem Zuwachs von 8,8 Prozent auf 81,2 Milliarden Euro aus. Kaufland machte mit 22,6 Milliarden Euro nur 1,6 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr.

Das Auslandsgeschäft habe überdurchschnittlich zum Wachstum beigetragen. Zwei Drittel der Umsätze stammen den Angaben zufolge aus dem Ausland, wo die Gruppe in 30 Ländern unterwegs ist. Dort wurde ein Plus von 9,1 Prozent erzielt. Zuletzt hatte Lidl nach Serbien expandiert.

In Deutschland stiegen die Erlöse um 5,1 Prozent auf 37 Milliarden Euro. Angaben zum Gewinn machte die Schwarz-Gruppe nicht. Für 2019 rechnet der Lebensmittelhändler mit einer ähnlichen Entwicklung.

Heidelberger Druckmaschinen: Analysten verlieren den Optimismus

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Von Thomas Veigel

Heidelberg. Trotz schwacher Zahlen hatten die Finanzanalysten der Banken in den vergangenen Jahren die Aktie der Heidelberger Druckmaschinen immer mit der Empfehlung "Kaufen" ausgezeichnet. Der Markt war dieser Ansicht eine Weile gefolgt. Nachdem der Vorstandsvorsitzende Rainer Hundsdörfer bald nach Amtsantritt deutliche Umsatzsteigerungen und Nachsteuergewinne von über 100 Millionen Euro versprochen hatte, stieg die Aktie bis auf über 3,50 Euro im Oktober 2017. Danach verlor der Kapitalmarkt den Glauben, unterstützt von einer Armada von Leerverkäufern, die den Kurs zusätzlich zu den unerfreulichen Ergebnissen unter Druck setzten.

Der Markt hat immer recht, heißt eine alte Börsenweisheit. Das wurde anlässlich der Bekanntgabe vorläufiger Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr in der vergangenen Woche bestätigt: Die hohen Umsätze und Gewinne werden nicht so schnell kommen wie erwartet.

Nun haben auch die ersten Analysten mit einer Abstufung der Aktie reagiert. Am gestrigen Montag senkte Richard Schramm von der britischen Investmentbank HSBC den Daumen. Er änderte die Empfehlung für die Aktie von "Kaufen" auf "Halten" und senkte das Kursziel von 2,60 auf 1,60 Euro.

Die mittelfristigen Ziele gerieten außer Sichtweite, schrieb Schramm laut dpa-AFX in einer gestern veröffentlichten Studie. Es sei nicht klar, was nun komme. Das Management habe unterstrichen, dass es keine Alternative sehe zur bereits gestarteten Digitalisierung des Geschäftsmodells. Es scheine aber, als könne der Fortschritt mit abonnementbasierten Angeboten vorerst die schleppende Nachfrage nach Digitaldruck-Maschinen nicht ausgleichen.

Der vorsichtige Ausblick auf 2020 sei enttäuschend. Die Erholung der Gewinne verzögere sich und die Risiken für den Sektor nähmen zu. Bereits in der vergangenen Woche hatte das Analysehaus Independent Research seine Empfehlung für die Aktie von "Kaufen" auf "Halten" abgestuft und das Kursziel von 2,10 auf 1,80 Euro gesenkt.

Mittlerweile werden auch erste Zweifel an der Strategie des Unternehmens laut. Brancheninsider fragen sich, ob die Abo-Modelle tatsächlich für eine Gewinnvermehrung sorgen können. Nach diesem Modell soll der Drucker nicht mehr die Maschine kaufen, sondern pro bedrucktem Bogen eine Gebühr an das Unternehmen abführen. Andere Stimmen vermissen "Visionen" für das Unternehmen und sehen Defizite im aktuellen Management. Das Unternehmen sei zu groß für die sinkende Nachfrage nach Druckmaschinen. Andererseits geht es mit der von der Arbeitnehmervertretung immer wieder geforderten Suche nach neuen Produkten nicht richtig voran. Seit der Krise, die im Jahr 2008 begann, hat das Unternehmen keine Dividende mehr gezahlt, Verluste von insgesamt rund einer Milliarde Euro haben das Eigenkapital schrumpfen lassen.

Immerhin hatte das Unternehmen mit ƒder chinesischen Masterwork-Gruppe kürzlich einen zusätzlichen Anker-Aktionär gefunden. Warum die Chinesen bei der Kapitalerhöhung 2,68 Euro pro Aktie gezahlt haben, ist eine weiter offene Frage. An der Börse hätte Masterwork einen Euro weniger bezahlt.

Nun ist die Aktie noch einmal deutlich billiger geworden. Das nutzte der zweite Ankeraktionär Ferdinand Rüesch zu Kauf von Aktien für knapp 100.000 Euro. Im Schnitt 1,43 Euro hat er am vergangenen Freitag dafür bezahlt, am gestrigen Montag fiel die Aktie bis auf 1,35 Euro. Das ist der tiefste Stand seit Anfang 2013.

Erst nach Ausschöpfung: Banken dürfen Sparverträge wegen Niedrigzinsen kündigen

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Karlsruhe. (dpa) Langjährige Prämiensparer müssen die Kündigung ihrer attraktiven Altverträge durch die Sparkassen hinnehmen, wenn sie die einmal vereinbarte Bonusstaffel ausgeschöpft haben.

Danach ist das Vorgehen der Geldhäuser in der anhaltenden Niedrigzinsphase gerechtfertigt, urteilte der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe am Dienstag (Az. XI ZR 345/18). In einem zweiten Verfahren gegen eine Sparkasse wegen Extra-Gebühren fürs Abheben und Einzahlen am Schalter wollen die Richter ihre Entscheidung erst am 18. Juni verkünden.

Nach einer Übersicht der Stiftung Warentest hatten bis Mitte April mindestens 30 Sparkassen in mehreren Bundesländern Prämiensparern gekündigt. In den meisten Fällen betreffen diese Kündigungen demnach das «S-Prämiensparen flexibel». Vor dem BGH hatten Kunden der Kreissparkasse Stendal in Sachsen-Anhalt geklagt, die drei Verträge dieses Modells aus den Jahren 1996 und 2004 weiterführen wollten.

Dabei bekamen die Sparer neben einem schwankenden Grundzins ab dem dritten Jahr eine stetig steigende Prämie. Los ging es mit drei Prozent auf die geleisteten Sparbeiträge. Der höchstmögliche Ertrag von 50 Prozent war nach dem 15. Jahr erreicht, eine feste Laufzeit nicht vereinbart. Ein alter Werbeflyer der Sparkassen rechnet eine fiktive Prämienentwicklung über 25 Jahre vor. Nach diesem Beispiel hätte der Sparer also elf Mal die Maximalprämie mitnehmen können.

Diese Möglichkeit dürfe seinen Mandanten nicht genommen werden, argumentierte der BGH-Anwalt der Kläger, Norbert Tretter. Sie hätten im Gegenzug niedrige Zugewinne in den Anfangsjahren in Kauf genommen.

Die obersten Zivilrichter halten es aber für ausreichend, wenn die Höchstprämie ein einziges Mal erzielt wurde. Eine Kündigung sei zwar in den ersten 15 Jahren ausgeschlossen, sagte der Senatsvorsitzende Jürgen Ellenberger. Denn mit der Staffel hätten die Sparkassen einen Bonus-Anreiz gesetzt. Danach dürfen sie die teuren Altverträge gemäß ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen aber «bei Vorliegen eines sachgerechten Grundes» mit drei Monaten Kündigungsfrist beenden.

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband sieht damit seine Rechtsposition bestätigt. «Bei sehr lang laufenden Verträgen» müsse es möglich sein, «auf veränderte wirtschaftliche Bedingungen angemessen reagieren zu können», teilte ein Sprecher auf Anfrage mit.

Der Senat befasste sich außerdem mit Extra-Gebühren für Geldgeschäfte am Schalter. In diesem Fall hat die Wettbewerbszentrale nach einem Kundenhinweis die Sparkasse im schwäbischen Günzburg verklagt. Jede Schalterbuchung kostet dort je nach Kontomodell einen oder zwei Euro - zusätzlich zum monatlichen Grundpreis. Inklusive ist nur der Service am Automaten. Dort ist allerdings die Summe gedeckelt, der Kunde konnte am Tag maximal 1500 Euro abheben. (Az. XI ZR 768/17)

Zu der Frage gibt es zwei BGH-Urteile aus den 1990er Jahren. Damals hatten die Richter entschieden, dass eine Extra-Gebühr fürs Abheben am Schalter nur dann zulässig ist, wenn fünf Transaktionen im Monat kostenlos möglich sind. 2009 hat sich aber die Rechtslage geändert. Für Zahlungsdienste darf seither grundsätzlich ein Entgelt verlangt werden. Zu klären ist jetzt, was das für Schalter-Buchungen bedeutet. Dafür will sich der Senat noch einige Wochen Zeit nehmen.

BGH-Mitteilung zu dem Urteil

Urteil des OLG Naumburg vom 16. Mai 2018

Übersicht der Stiftung Warentest über kündigende Sparkassen

Ankündigung des BGH zum Entgelt für Schalter-Buchungen

Urteil des OLG München vom 12. Oktober 2017

Aktuelle Girokonto-Modelle der Sparkasse Günzburg-Krumbach

Gesetzliche Regelung zu Zahlungsdiensten, § 675f BGB

BGH-Urteil von 1993 zu Entgelten fürs Abheben und Einzahlen

BGH-Urteil von 1996 zu Freiposten

Wettbewerbszentrale über das Verfahren

Unzulässige und zulässige Entgelte beim Girokonto

Sparkassen über die Notwendigkeit von Konto-Gebühren

SAP: Plattner will sich wieder in den Aufsichtsrat wählen

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Walldorf. (dpa) Mit dem richtigen Gespür für künftige Trends brachte Hasso Plattner den Softwarekonzern SAP an die Weltspitze. Dabei denkt er vorerst noch nicht ans Aufhören: Im Alter von 75 Jahren will sich der streitbare Segelfan am Mittwoch auf der Hauptversammlung des Dax-Unternehmens noch einmal an die Spitze des Aufsichtsrats wählen lassen - allerdings nur für drei Jahre.

Der in Berlin geborene Plattner ist der letzte der fünf SAP-Gründer, der noch im Unternehmen aktiv ist. Gemeinsam mit Dietmar Hopp und drei weiteren IBM-Kollegen gründete der studierte Nachrichtentechniker 1972 die Firma Systemanalyse und Programmentwicklung. Sein wichtigster Mitstreiter Dietmar Hopp gab seinen Aufsichtsratssitz schon 2005 ab. Dabei haben die beiden den Konzern maßgeblich zu dem gemacht, was er ist. Während «Vadder Hopp» sich um die Belegschaft sorgte, war Plattner wichtiger Impulsgeber.

«Seinen Nutzen kann man nicht beziffern, aber die SAP wäre ohne ihn niemals so erfolgreich geworden», sagte Hopp Anfang des Jahres der Deutschen Presse-Agentur. Die USA, die Firmen im Silicon Valley, waren Plattners großes Vorbild. Anfang der 1990er Jahre kam er von dort zurück und überzeugte seine Kollegen, das aus ihrer Sicht noch nicht ganz reife Softwarepaket R3 zu verkaufen. Die Wette ging auf.

Dabei mischt Plattner auch außerhalb von SAP mit - vor allem als Mäzen für Wissenschaft mit dem Hasso-Plattner-Institut und Kunsthalle Barberini in Potsdam. Das US-Wirtschaftsmagazin «Forbes» schätzt sein Vermögen auf 12,5 Milliarden US-Dollar (rund 11,13 Mrd Euro).

Hohe Auslastung: Kunden warten immer länger auf Handwerker

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Berlin. (dpa) Das Rohr ist verstopft, die Waschmaschine kaputt, der Wasserhahn tropft - doch bis ein Handwerker kommt, kann es dauern.

Kunden müssen immer länger auf einen Termin warten. Im Durchschnitt dauert es im Gesamthandwerk inzwischen fast 10 Wochen, bis ein Auftrag erfüllt werden kann.

Das geht aus dem Konjunkturbericht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) hervor. Noch länger sind die Wartezeiten in den Bau- und Ausbauhandwerken - dort müssen die Kunden sogar 14,5 beziehungsweise fast 11 Wochen warten.

Der Grund ist die hohe Auslastung der Betriebe von mehr als 80 Prozent. Die Auftragsbestände seien weiter hoch und es gebe kaum noch freie Kapazitäten, heißt es. Das werde auch in den kommenden Monaten so bleiben. Zugleich fehlten Fachkräfte. Nicht für alle offenen Stellen lasse sich geeignetes Personal finden. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer hatte Ende vergangenen Jahres noch von einer durchschnittlichen Wartezeit von 9 Wochen gesprochen.

ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke sagte, die Konjunktur im Handwerk laufe weiter auf Hochtouren. Dies werde sich nach den Erwartungen der Betriebe im weiteren Jahresverlauf nahezu ungebremst fortsetzen. Die Firmen bewerteten in der Frühjahrsbefragung die aktuelle Geschäftslage sowie die Umsatzentwicklung besser als jemals zuvor.

Höhere Löhne und Lohnzusatzkosten sowie gestiegene Einkaufspreise für Rohstoffe, Material und Energie lassen laut Verband die Verkaufspreise noch einmal deutlich ansteigen. Die Spielräume für Preisanpassungen seien größer als in den Vorjahren, sodass sich die höheren Kosten auf die Abnehmer umlegen ließen - sprich: Die Preise für Kunden steigen. Mehr als jeder dritte Betrieb (37 Prozent) gab an, im ersten Quartal die Absatzpreise erhöht zu haben.

Zugleich klagte der Spitzenverband über zu viel Bürokratie mit mehr arbeitsrechtlichen Vorschriften und mit zusätzlichen Sozialabgaben. Der ZDH bekräftigte außerdem seine Forderung nach steuerlichen Entlastungen. «In der politischen und gesellschaftlichen Wahrnehmung scheint zunehmend aus dem Blick zu geraten, wer unseren Wohlstand und die Mittel für unseren Sozialstaat erarbeitet und erwirtschaftet: Das sind ganz maßgeblich auch unsere Betriebe, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handwerk», sagte Schwannecke. «Eine verteilende Sozialpolitik dominiert, wo eigentlich Wirtschaftspolitik und Wettbewerbsstärkung nötig wären.»

Der Handwerksverband spricht sich außerdem seit langem dafür aus, die Meisterpflicht in vielen Berufen wieder einzuführen. Im Jahr 2004 war in mehr als 50 Gewerken die Meisterpflicht weggefallen, etwa für Rolladen- und Jalousienbauer, Gold- und Silberschmiede oder Fliesenleger. Mit der Reform der Handwerksordnung wollte die Bundesregierung damals einfachere Tätigkeiten für Selbstständige öffnen.

Befürworter argumentieren, dies habe zu einem größeren Angebot und mehr Auswahl für die Kunden geführt - dagegen beklagt der ZDH, die Abschaffung der Meisterpflicht in vielen Berufen habe zu Marktverzerrungen und Qualitätsproblemen geführt. «Mehr Qualität, mehr Ausbildung, mehr Verbraucherschutz und nachhaltige Betriebe bekommen wir nur mit der Meisterpflicht», sagte Schwannecke.

Die schwarz-rote Koalition hatte angekündigt, den Meisterbrief wieder zu stärken. Eine Arbeitsgruppe von Union und SPD hatte sich Anfang April auf Eckpunkte für eine Änderung der Handwerksordnung verständigt. Es soll nun ein Gesetzentwurf erarbeitet werden, der im Herbst im Bundestag beraten werden soll.

Konjunkturberichte Handwerk

SAP: Der Aufsichtsrat wird deutlich weiblicher

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Mannheim. (dpa) Der frisch gewählte Aufsichtsrat des Softwarekonzerns SAP besteht zur Hälfte aus Frauen. Nach den Neuwahlen der Vertreter für die Kapitaleigner bei der Hauptversammlung am Mittwoch stellen die Arbeitnehmervertreter nun fünf, die Kapitalseite vier Frauen in dem 18-köpfigen Gremium, wie das Unternehmen am Mittwoch mitteilte.

Damit hat SAP einen der höchsten Frauenanteile in seinem Kontrollgremium unter den deutschen börsennotierten Unternehmen. Laut einer Auswertung der Unternehmensberatung Ernst & Young vom vergangenen Jahr kommt nur der Zahlungsdienstleister Wirecard auf einen so hohen Anteil. Beim Rückversicherer Munich Re etwa sind 9 von 20 Aufsichtsräten Frauen. Gesetzlich vorgeschrieben ist für börsennotierte Unternehmen lediglich eine Frauenquote von 30 Prozent. In der Belegschaft lag der Frauenanteil bei SAP 2018 bei 33 Prozent, auf Führungsebene sind es knapp 26 Prozent.

Die Mitarbeiter von SAP hatten ihre Vertreter bereits gewählt, auf der Hauptversammlung stellte sich nun die gesamte Kapitalseite zur Wahl. Die Amtszeiten der Aktionärsvertreter werden künftig auf Wunsch der Anteilseigner in drei, vier und fünf Jahren gestaffelt. Aufsichtsratschef Hasso Plattner stellte sich nur für drei Jahre zur Wahl und läutet damit seinen Abschied von SAP ein. «Diese drei Jahre sollen dann gleichzeitig auch meine letzte Amtszeit sein», sagte der letzte aktive Gründer des Konzerns.

Die Frage nach seiner Nachfolge ließ der 75-Jährige zum Ärger seiner Aktionäre aber offen. «Seien Sie versichert, dass ich mich mit dieser Frage intensiv befasse», sagte er lediglich. In einem Schreiben an die Aktionäre dieses Jahr hatte Plattner aber bereits angekündigt, dass die Nachfolge frühestens ein Jahr vor seinem endgültigen Ausscheiden entschieden werde. Eigentlich gilt bei SAP eine Altersgrenze von 75 Jahren für den Aufsichtsrat. Einige Aktionäre sprachen sich aber für Plattners Wiederwahl aus. Er hat sich länger als alle anderen Gründer bei SAP gehalten. Mitstreiter Dietmar Hopp verabschiedete sich 2005 aus dem Aufsichtsrat.

Viel Grund zu Murren hatten die SAP-Aktionäre nicht bei der diesjährigen Hauptversammlung. «Sie haben uns Aktionären zugehört und Sie haben geliefert», lobte Christiane Hölz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz unter anderem mit Blick auf die in den vergangenen Jahren kritisierte Vorstandsvergütung. Die Aktie erreichte erst Ende April ein Allzeithoch von 117 Euro. Der Softwarekonzern ist mit einem Börsenwert von gut 135 Milliarden Euro der mit Abstand wertvollste Dax-Konzern.

Das für die Hauptversammlung relevante Geschäftsjahr 2018 lief gut, die Anteilseigner erhalten eine höhere Dividende von 1,50 Euro. SAP-Chef Bill McDermott hob trotz eines Verlusts im ersten Quartal erst jüngst die Gewinnprognose für 2019 an. Einziger Wermutstropfen war die Kundenzufriedenheit, die gemessen an der Weiterempfehlungsbereitschaft (Net Promoter Score) 2018 deutlich gesunken war. SAP hatte dafür allerdings bereits eine neue Einheit gegründet. «Wir sind zuversichtlich, dass wir diesen Net Promoter Score verbessern könne», sagte McDermott.


Walldorf: Diese Sorgen gibt es noch bei der SAP

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Von Barbara Klauß

Walldorf. Die Aktionäre des Walldorfer Softwarekonzerns SAP könnten zufriedener kaum sein: Die Aktie erreichte Ende April ein Allzeithoch von 117 Euro, SAP ist mit einem Börsenwert von gut 135 Milliarden Euro das mit Abstand wertvollste Unternehmen im deutschen Leitindex Dax, das zurückliegende Geschäftsjahr lief mit mehr als 4 Milliarden Euro Gewinn gut, der Umsatz steigt. Für das zurückliegende Geschäftsjahr zahlt der Konzern die Rekorddividende von 1,50 Euro je Aktie.

Und der frisch gewählte Aufsichtsrat besteht zur Hälfte aus Frauen - eine Besonderheit unter den börsennotierten Unternehmen in Deutschland. Auf Führungsebene sind inzwischen knapp 26 Prozent Frauen beschäftigt. Auch hier hat SAP ein Zwischenziel erreicht und die Latte nun noch einmal höher gelegt. Also alles gut bei Europas größtem Softwarehersteller?

Aus Sicht des Vorstandsvorsitzenden Bill McDermott auf jeden Fall. "Wir dürfen stolz sein, dass SAP die wertvollste deutsche Marke ist", sagt er bei der Hauptversammlung am Mittwoch in der SAP Arena in Mannheim vor rund 3500 Aktionären. Und er verspricht weiteres Wachstum. "Wir werden erfolgreich sein. Unser Weg ist lang, breit - und ihm sind keine Grenzen gesetzt."

Die Aktionärsvertreter, die sich zu Wort melden, bestätigen ihn mehrheitlich in seiner Begeisterung. "Sie haben geliefert", sagt Christiane Hölz von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) mit Blick zu Vorstand und Aufsichtsrat. "Es könnte einem fast unheimlich werden."

Und dennoch gibt es Dinge, die die Anteilseigner umtreiben. Zum einen die Zufriedenheit der Anwender: Laut Geschäftsbericht des Konzerns stehen 27 Prozent zufriedenen Kunden 32 Prozent gegenüber, die nicht zufrieden sind. Der Net Promoter Score (NPS), eine Kennzahl, die misst, wie große die Bereitschaft ist, das Unternehmen weiter zu empfehlen, ist damit in den negativen Bereich gerutscht.

"Das ist kein gutes Ergebnis", sagt Hölz, "hier muss gegengesteuert werden." SAP erklärt den schlechten Wert mit einer Anpassung der Methodik im vergangenen Jahr - kündigt aber Reaktionen an.

"Ein Unternehmen kann nicht mehr effizient und erfolgreich sein, wenn es die Erwartungen der Kunden nicht erfüllt", sagt McDermott bei der Hauptversammlung. "Auch wenn ein Großteil unserer Kunden zufrieden ist, liegt dennoch einiges an Arbeit vor uns." Daher habe SAP Programme für Kunden (wie etwa "Customers First") ins Leben gerufen und binde die Anwender mit ein. "Jeder Kunde soll eine Stimme bekommen und gehört werden", so der SAP-Chef.

Fragen gibt es auch zum derzeit laufenden Personalumbau. 4400 der weltweit rund 98.700 Mitarbeiter sollen SAP über ein Vorruhestands- und Abfindungsprogramm verlassen, rund 1200 davon in Deutschland (derzeit rund 23.000 Mitarbeiter). Mit diesem Programm solle SAP "fit gemacht" werden für die Zukunft und die schnellen Veränderungen in der Technologiebranche, wie McDermott bei der Vorstellung der Programms Ende Januar erklärt hatte.

"Fitnessprogramm klingt so harmlos", meint nun Aktionärsvertreterin Hölz. "Aber für SAP bedeutet das sicher große Veränderungen. Wie stellen Sie sicher, dass nicht wichtiges Wissen abfließt?" Auch weist sie noch einmal darauf hin, dass mit Bernd Leukert und Robert Enslin zwei langjährige Vorstände SAP verlassen haben. "50 Jahre Know-how sind damit weg."

"Wir tun alles, um den Wissenstransfer zu garantieren", antwortet McDermott. Der Konzern investiere in Weiterbildung und versuche, gute Mitarbeiter zu halten. Mehr als 500 der vom Personalumbau betroffenen Kollegen haben einem Sprecher zufolge bereits eine neue Stelle im Unternehmen in einem der Wachstumsbereiche gefunden. Mitarbeiter, deren Wissen als wichtig fürs Unternehmen erachtet wird, dürfen ohnehin nicht gehen.

Angesprochen wird auch der Einstieg des Elliott Hedgefonds von Paul Singer mit 1,2 Milliarden Euro, der im April bekannt wurde. "Mit ihm hat man jemanden dabei, der in Deutschland nicht immer als einfacher Aktionär aufgetreten ist", sagt Hölz und will wissen, ob SAP Erkenntnisse zu den Absichten des Hedgefonds habe.

Der Dialog mit den Investoren sei SAP sehr wichtig, erklärt Finanzchef Luka Mucic. Wie andere Investoren auch habe Elliot SAP darin bestärkt, den eingeschlagenen Weg im Interesse der Aktionäre weiter zu gehen.

Themen also gibt es bei aller Freude über gute Geschäftszahlen genug. "Ich wünsche gutes Gelingen beim radikalen Umsteuern des Unternehmens", sagt Josef Gemmeke von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SDK).

Mannheim: Schließung von Werken bei Südzucker ist "unvermeidbar"

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Von Barbara Klauß

Mannheim. "Das war ein schwieriges Jahr", erklärte Wolfgang Heer, der Vorstandsvorsitzende von Südzucker, bei der Vorstellung der Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr am Donnerstag in der Konzernzentrale in Mannheim. Sorge bereitet vor allem das Kerngeschäft mit Zucker - mit einem Rekordverlust in Höhe von 239 Millionen Euro. Zwar konnte Südzucker diesen Verlust durch die übrigen Segmente (darunter Fruchtkonzentrat, Fertiggerichte und Ethanol) ausgleichen, doch ging das Ergebnis von 445 Millionen Euro im Vorjahr auf 27 Millionen Euro zurück. Ein "historisch niedriger Wert", wie Heer sagte.

Angesichts dieser Zahlen verteidigte der Südzucker-Chef die Schließung von fünf der 29 Werke und den Abbau von insgesamt 700 Stellen, 300 davon in der Verwaltung. Welche Auswirkungen das auf die Mannheimer Zentrale hat, ist Heer zufolge noch unklar.

"Die aktuellen Schließungen sind aus unserer Sicht unvermeidbar, um auf dem europäischen Zuckermarkt weiter zu bestehen", erklärte der Südzucker-Chef. Ein Werk im polnischen Strzyzów ist bereits Geschichte, die betroffenen Werke in Deutschland (Brottewitz in Brandenburg und Warburg in Nordrhein-Westfalen) sowie in Frankreich (Cagny und Eppeville) sollen nach der Kampagne 2019/20 stillgelegt werden. Gegen die Schließungen in Deutschland hatten Südzucker-Mitarbeiter und Landwirte protestiert.

Auch in Frankreich regt sich Widerstand: Dort wollen die betroffenen Bauern, die nur wenige Absatzmärkte für ihre Rüben haben, die Fabriken selbst übernehmen. Dem Verband der französischen Zuckerrübenproduzenten (CGB) zufolge soll eine Genossenschaft die Werke mit regionaler finanzieller Unterstützung kaufen, um die Produktion aufrecht zu erhalten.

In der Konzernzentrale zeigt man sich wenig begeistert. "Wir nehmen die Kapazitäten nicht raus, um sie anderen anzubieten, sondern um die Mengen vom Markt zu nehmen", erklärte Heer - und fügte hinzu: "Sie können sicher sein, dass es uns nicht leichtgefallen ist, diesen Restrukturierungsplan zu beschließen." Unter anderem die Kosten für diese "Restrukturierung" haben den Konzern im abgelaufenen Geschäftsjahr mit 805 Millionen Euro ins Minus gedrückt.

Heer verwies auf die "sehr ernste Lage" auf dem Zuckermarkt. Seit die Marktordnung 2017 ausgelaufen ist, stehen deutsche Zuckerhersteller stärker unter Druck. Es ist viel Zucker auf dem Markt, der Preis wird gedrückt.

Für das Geschäftsjahr 2019/20 erwartet Heer "zwar ein höheres, aber weiterhin unbefriedigendes Preisniveau". Für den Konzern rechnet er mit einem Umsatz von 6,7 bis 7 Milliarden Euro und mit einem operativen Ergebnis von 0 bis 100 Millionen Euro. Mittelfristig aber erwartet er eine deutliche Verbesserung des Ergebnisses. Auch, weil er im Zuckergeschäft nach der Restrukturierung "und einer Markterholung in der EU" wieder von klar positiven Ergebnissen ausgeht.

Walldorf: SAP-Personaler sieht Spielraum bei Umsetzung des Arbeitszeit-Urteils

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Walldorf. (dpa) Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Arbeitszeiterfassung könnte für den Softwarekonzern SAP einen gewaltigen Umbruch bedeuten. Der Dax-Konzern setzt seit seiner Gründung im Jahr 1972 auf Vertrauensarbeitszeit. «Es gab bei uns bislang keine Zeiterfassung bis aufs Komma genau», sagte der langjährige Personalleiter in Deutschland, Wolfgang Fassnacht, der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist tiefer Teil unserer Kultur.»

Der EuGH hatte am Dienstag entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet werden sollen, die volle Arbeitszeit aller Beschäftigten systematisch zu erfassen. Die Gewerkschaften begrüßten dies als Schutz vor unbezahlten Überstunden und Verfügbarkeit rund um die Uhr. Arbeitgeber warnen vor neuer Bürokratie.

«Wir müssen jetzt abwarten, wie der Gesetzgeber das Urteil umsetzt», sagte der Manager weiter. «Nach dem Urteil gibt es bezüglich der rechtlichen Umsetzung noch relativ großen Gestaltungsspielraum». Es werde seiner Einschätzung nach ein Jahr dauern, bis der deutsche Gesetzgeber das Urteil umgesetzt habe.

Für SAP mit seinen gut 40.000 Beschäftigten in Europa wäre die Arbeitszeiterfassung eine vollständige Kehrtwende. Bei SAP würde man gern beim Konzept der Vertrauensarbeitszeit bleiben, sagte Fassnacht, der bei dem Softwarekonzern inzwischen weltweit für Weiterbildung und Führung zuständig ist. «Die Akzeptanz ist einfach sehr, sehr hoch.» Die Vertrauensarbeitszeit sei erst jüngst in eine Betriebsvereinbarung gegossen worden: «Damit haben wir die über 40 Jahre alte Praxis nochmal festgeschrieben.»

«Wir leben von gegenseitigem Vertrauen», sagte Fassnacht weiter. Das sei ein hohes Kulturgut. «Und ich sehe die Richtlinie, die da kommen mag, nicht im Zeichen einer Vertrauens-Kultur», so Fassnacht, der bis 2018 das Personalwesen von SAP in ganz Deutschland verantwortet hat: «Arbeitszeiterfassung ist vom Geist der Kontrolle getragen und nicht vom Geist des Vertrauens.»

«Bei uns muss sich keiner einen halben Tag Urlaub nehmen, wenn er zum Arzt muss», erklärte Fassnacht. Das könne man im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit alles regeln. In der Betriebsvereinbarung sei beispielsweise auch festgehalten, wenn ein Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum mehr Stunden angesammelt habe. «Dann vereinbart man mit dem Vorgesetzten, wie man das ausgleicht.»

«Wir müssen jetzt abwarten, wie der Gesetzgeber das Urteil umsetzt», sagte der Manager weiter. «Nach dem Urteil gibt es bezüglich der rechtlichen Umsetzung noch relativ großen Gestaltungsspielraum». Es werde seiner Einschätzung nach ein Jahr dauern, bis der deutsche Gesetzgeber das Urteil umgesetzt habe.

Eine gesetzliche Vorgabe zur Arbeitszeiterfassung könnte viel Bürokratie nach sich ziehen, fürchtet Fassnacht. «Da geht es auch um private Internetnutzung am Arbeitsplatz», sagt er. «Muss ich mich dann ausstempeln, wenn ich mal privat 10 Minuten etwas mache, zum Beispiel mit meiner Familie telefoniere? Das würde unserer Arbeitskultur komplett widersprechen.»

BASF: 2022 soll erste BASF-Anlage an neuem China-Standort in Betrieb gehen

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Ludwigshafen. (dpa) 2022 soll die erste Anlage am geplanten neuen BASF-Großstandort in Südchina in Betrieb gehen. Dabei handele es sich um eine Anlage für technische Kunststoffe mit einer Kapazität von 60.000 Tonnen im Jahr, teilte das Unternehmen am Dienstag in Ludwigshafen mit. Derzeit laufe noch eine Machbarkeitsstudie, der genaue Baustart steht nach BASF-Angaben noch nicht fest.

Neben der Anlage für technische Kunststoffe soll an dem neuen Standort in Zhanjiang in der Provinz Guandong auch eine Anlage für thermoplastische Polyurethane (TPU) entstehen. TPU wird unter anderem für sicherheitsverstärkte Kabel oder Leitungen verwendet.

Im Januar hatten BASF und der Vize-Gouverneur der Provinz Guangdong, Lin Shaochun, eine Rahmenvereinbarung für den Verbundstandort im südchinesischen Guangdong unterzeichnet. Insgesamt wollen die Ludwigshafener dort schrittweise bis zu umgerechnet knapp 9 Milliarden Euro (rund 10 Milliarden US-Dollar) investieren. Am Ende wird Zhanjiang den Planungen zufolge die weltweit drittgrößte BASF-Produktionsstätte sein nach Ludwigshafen und dem belgischen Antwerpen.

70 Jahre Grundgesetz: Das Grundgesetz garantiert auch das Briefgeheimnis

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Heidelberg. (RNZ) Das Briefgeheimnis ist ein Grundrecht: Briefe, Postkarten, Pakete und Telegramme sind durch § 10 des Grundgesetzes geschützt. Wer verschlossene Briefe oder andere Dokumente öffnet, die nicht für ihn bestimmt sind, macht sich strafbar. Ihm droht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Mitarbeiter eines Post- oder Telekommunikationsdienstleisters müssen sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren rechnen.

In Deutschland wurde die Gewährleistung des Briefgeheimnisses zuerst in der josephinischen Wahlkapitulation von 1690 angesprochen. Für seine Verletzung sollte ein Delinquent mit Staupenschlag (Auspeitschung durch den Henker) und Landesverweisung bestraft werden. Damit wollte man die Neugier der berittenen Boten zügeln.

Noch härter war das französische Recht. Eine Verordnung Ludwigs XV. vom 25. September 1742 legte fest, dass Postbeamte, welche Briefe und Pakete geöffnet und die darin enthaltenen Gegenstände unterschlagen hatten, zur Todesstrafe verurteilt werden sollten.

Es gibt auch Ausnahmen vom Postgeheimnis: Postdienstleister dürfen Briefe und Pakete öffnen, wenn die Sendungen beschädigt sind oder der Empfänger nicht anders ermittelt werden kann. Ausnahmen gibt es auch dann, wenn geprüft werden muss, ob die Voraussetzungen für ein geringeres Porto erfüllt sind - zum Beispiel, ob sich in der Büchersendung tatsächlich gedruckte Erzeugnisse befinden. Auch der Staat kann das Postgeheimnis einschränken, wenn Rechtsstaat und Demokratie bedroht sind oder es um Landes- beziehungsweise Hochverrat geht. Dabei dürfen verschlossene Postsendungen jedoch grundsätzlich nicht von der Polizei oder dem Staatsanwalt geöffnet werden, sondern nur vom Richter.

Ein Spezialfall ist geschäftliche Post. Die Poststelle oder auch andere Personen von der Geschäftsleitung dazu ermächtigte Personen eines Unternehmens dürfen Briefe und andere Postsendungen öffnen, auch wenn neben dem Namen des Unternehmens ein konkreter Empfänger genannt ist.

Es gibt aber eine Ausnahme: Sendungen mit einem Vertraulichkeitsvermerk, also "vertraulich" oder "persönlich" dürfen nur vom genannten Empfänger geöffnet werden.

Auch die elektronische Post fällt unter das Briefgeheimnis. Allerdings entspricht eine herkömmliche E-Mail eher einer Postkarte als einem verschlossenen Brief. Bei der Konzeption der frühen Internetdienste stand im Vordergrund, Kommunikation möglich zu machen. Daher hat man bei den grundlegenden technischen Protokollen nicht darauf geachtet, ein stabiles Fundament für einen abhörsicheren Briefwechsel zu schaffen. Mit einer Verschlüsselung nach dem OpenPGP-Standard kann eine E-Mail verschlüsselt werden.

Mit dem E-Postbrief will die Deutsche Post (andere Internet-Dienstleister haben ähnliche Angebote) das Briefgeheimnis ins Internet übertragen. Den Kunden wird eine vertrauliche sowie daten- und rechtssichere Übermittlung ihrer Schreiben und Dokumente zugesagt. Dazu sollen etwa alle Arten von Rechnungen oder auch Behördenbescheinigungen gehören.

Notwendig ist für Kunden eine persönliche Registrierung, mit der auch der Nachweis der Identität gesichert wird. Diese Anmeldung ist ebenso kostenlos wie die Bereitstellung des persönlichen elektronischen Briefkastens. Auch der Empfang von E-Post kostet die Nutzer nichts.

Bezahlt werden muss nur die konkrete Leistung, die in Anspruch genommen wird. Das ist etwa bei einem Normalbrief-Versand das auch sonst übliche Standardporto von 55 Cent. Alle E-Postbriefe sind nach neuester Technik verschlüsselt.

Der Online-Brief wird von der Deutschen Post an die Empfänger entweder rein elektronisch übermittelt oder - wenn der Adressat keine eigene Registrierung hat - in ausgedruckter Form per Postboten an die Haustür gebracht.

70 Jahre Grundgesetz: Wie frei ist die Entscheidung für einen Job tatsächlich?

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Von Barbara Klauß

Heidelberg. Jeder hat laut Grundgesetz das Recht, "Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen". Aber kann tatsächlich jeder seinen Wunschberuf ausüben? Wie frei ist die Berufswahl wirklich? Eine Bestandsaufnahme.

> Einschränkungen: Eine Garantie, dass jeder in seinem Traumberuf und an seinem Traumarbeitsplatz unterkommt, gibt das Grundgesetz natürlich nicht. Eine Grenze setzt der Markt: Jemand, der unbedingt als Luft- und Raumfahrttechniker in Brandenburg arbeiten möchte, dort aber keine Firma findet, die ihm den passenden Job bietet, kann sich selbstverständlich nicht aufs Grundgesetz berufen. Auch der Staat greift zum Teil regulierend ein, etwa indem er festlegt, wie viele Ärzte sich in bestimmten Gegenden niederlassen dürfen. Sind die Kontingente erschöpft, haben die übrig gebliebenen Pech gehabt. Umgekehrt kann der Staat aber keinen Arzt zwingen, eine Praxis in einer der ländlichen Regionen zu eröffnen - obwohl die zum Teil dramatisch unterversorgt sind.

> Fachkräfte: Ähnlich ist es auf dem Lehrstellenmarkt. Hier trägt die freie Berufs- und Ausbildungsplatzwahl dazu bei, dass sich ein Ungleichgewicht ergibt. Während Wirtschafts- und Handwerksverbände mangelndes Interesse an Ausbildungsberufen beklagen (2008 gab es laut Statista 1,6 Millionen Auszubildende in Deutschland, 2017 nur noch 1,3 Millionen), steigt die Zahl der Studierenden kontinuierlich an: Von gut 2 Millionen im Wintersemester 2008/09 auf fast 2,9 Millionen 2018/19. Auch wenn der Staat die Ausbildungsberufe als wichtig erachtet: Niemand kann gezwungen werden, sich zum Pfleger oder Installateur ausbilden zu lassen, wenn er lieber Geologie studieren möchte.

So erreichte die Zahl der unbesetzten Lehrstellen laut Deutschem Industrie- und Handelskammertag (DIHK) im vergangenen Herbst ein Rekordhoch. Fast 58.000 unbesetzte Lehrstellen meldete die Bundesagentur für Arbeit Ende September. Es sind vor allem Hotels, Gaststätten und Handwerker wie etwa Bäcker und Metzger, die nicht genug Lehrlinge finden; sie fehlen aber auch am Bau, in Metallberufen und der Energietechnik. Immer vehementer warnen Wirtschaftsverbände vor einem Fachkräftemangel.

Doch die brummende Konjunktur eröffnet den jungen Leuten heute eine große Wahlfreiheit. Um dennoch wieder mehr Jugendliche für eine Lehre zu gewinnen, hat die Bundesregierung gerade erst einen Mindestlohn für Auszubildende eingeführt: Ab 2020 sollen sie mindestens 515 Euro im Monat erhalten.

> Herkunft: Eine große Rolle bei der Frage, welchen Beruf man ausübt, spielt nach wie vor die Herkunft. Einer Studie des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem vergangenen Jahr zufolge, hat sich die soziale Mobilität in Deutschland in den zurückliegenden 30 Jahren kaum verändert: Wenn Eltern leitende Angestellte oder Ärzte waren, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass der Nachwuchs ebenfalls eine solche Position findet als bei einem Arbeiterkind.

> Rollenmuster: Auch Rollenmuster haben immer noch eine große Bedeutung bei der Berufswahl: Ein Blick in Kitas und auf Baustellen zeigt, dass sich an der Rollenverteilung auf dem deutschen Arbeitsmarkt wenig verändert hat, heißt es 2018 beim Institut der deutschen Wirtschaft (IWD) in Köln. Während in einigen Bau- und Metallberufen deutlich weniger als zehn Prozent der Beschäftigten Frauen sind, beträgt ihr Anteil in den Berufen des Erziehungs- und Gesundheitswesens mehr als 80 Prozent. Auch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) stellt fest, dass gesellschaftlich geprägte Stereotype die Berufswahl von Frauen und Männern noch immer maßgeblich beeinflussen.

> Führung: Besonders schwer haben es Frauen, wenn sie den Berufswunsch "Chef" haben. In Aufsichtsräten der 100 größten börsennotierten Unternehmen gibt es (aufgrund einer Quote) zwar immerhin 30 Prozent Frauen - in den Vorständen sind es aber lediglich 8,5 Prozent. Als "deprimierend schlecht" hat das Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich bezeichnet. Laut Statista betrug der Frauenanteil in Führungspositionen im Oktober 2018 knapp 17 Prozent.

> Migration: Auf dem Weg zum Wunschberuf stehen auch Menschen vor Hürden, die oder deren Vorfahren nicht aus Deutschland stammen. Sie suchen hierzulande länger nach einer Stelle und kassieren häufiger Absagen, wie ein Versuch am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung ergab: Forscher schrieben Tausende fiktive Bewerbungen, die zum Teil darauf schließen ließen, dass die Vorfahren der Bewerber aus einem anderen Land stammten. Das Ergebnis: Bewerber mit Vorfahren aus vielen europäischen, ostasiatischen und nordamerikanischen Ländern wurden genauso behandelt wie Menschen ohne Migrationshintergrund. Personen, die aus afrikanischen und muslimischen Ländern stammten, waren jedoch von Diskriminierung betroffen.

> Behinderung: Menschen mit Behinderung haben häufig große Probleme bei der Suche nach dem Wunsch-Arbeitsplatz: Wer gerne in einer regulären Firma arbeiten möchte, hat schlechte Chancen: Unter den rund zehn Millionen behinderten Menschen in Deutschland liegt die Arbeitslosenquote bei knapp zwölf Prozent - und damit mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (gut fünf Prozent). Dabei sind Arbeitgeber mit 20 und mehr Beschäftigten gesetzlich verpflichtet, mindestes fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Schwerbehinderte zu vergeben. Tun sie das nicht, müssen sie eine Ausgleichsabgabe (im höchsten Fall 320 Euro im Jahr) zahlen.

> Hartz-IV: Das Gesetz zwingt niemanden zur Arbeit. Auch für Bezieher von Arbeitslosengeld II gibt es keine Arbeitspflicht, obwohl er von Politikern immer mal wieder gefordert wird. Allerdings unterliegen Hartz-IV-Empfänger etlichen Pflichten. Sie dürfen die Jobsuche nicht schleifen lassen, sondern müssen sich regelmäßig bewerben. Zumutbare Jobangebote dürfen sie nicht einfach ablehnen. Außerdem müssen sie sich regelmäßig bei den Jobcentern melden. "Fördern und Fordern" nannte einst Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder dieses Prinzip. Verstößt ein Leistungsempfänger gegen diese Pflichten, kann ihm das Arbeitslosengeld II gekürzt werden. Wegen dieser Sanktionen gibt es derzeit eine Debatte - und ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Es soll klären, ob Leistungskürzungen für Hartz-IV-Empfänger Grundrechte verletzen.

Im konkreten Fall geht es um einen arbeitslosen Mann aus Erfurt. Vom Jobcenter wurde ihm ein Job als Lagerarbeiter angeboten. Weil er lieber in den Verkauf wollte, lehnte er den Job ab. Daraufhin kürzte das Jobcenter ihm sein Arbeitslosengeld um 30 Prozent. Weil er einen Gutschein zur Erprobung bei einem Arbeitgeber nicht einlöste, kam es zu einer weiteren Kürzung. Insgesamt bekam er eine Kürzung von 60 Prozent. Dagegen klagte der Mann. Das Sozialgericht Gotha setzte das Verfahren aus und schickte die Sache nach Karlsruhe. Die Thüringer Richter sind der Meinung, dass sämtliche Sanktionsregeln nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Noch ist kein Urteil gefallen.

Mannheim: Pharmahändler Phoenix wächst stärker als der Markt

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Mannheim. 25 Jahre nach der Gründung ist der Mannheimer Pharmahändler Phoenix zum neunten Mal in Folge stärker als der Markt gewachsen. Wie das Unternehmen am Donnerstag mitteilte, ist die Gesamtleistung des in 27 europäischen Ländern tätigen Dienstleisters um rund fünf Prozent auf das Rekordhoch von 33 Milliarden Euro gestiegen. Der Umsatz wuchs gegenüber Vorjahr um 3,6 Prozent auf rund 26 Milliarden Euro. Das Ergebnis vor Zinsen, Ertragsteuern und Abschreibungen (Ebitda) blieb mit 471 Millionen Euro stabil.

Nach Steuern verbuchte das Unternehmen allerdings einen Verlust von 112 Millionen Euro. Dies habe an Abwertungen von Geschäfts- und Firmenwerte in Höhe von rund 280 Millionen Euro gelegen. In Großbritannien hätte die durch den Gesetzgeber verabschiedete Kürzung der Apothekenvergütung zu einer Reduzierung der künftigen Ertragsprognosen geführt. Ein Optimierungsprogramm sei auf dem Weg. Auch in den Balkan-Ländern hätte ein verändertes Marktumfeld die mittelfristigen Ergebniserwartungen geschmälert.

Der Konzernabschluss 2018/19 schloss erstmalig die Gesellschaften in Rumänien mit rund 2200 Beschäftigten ein. Mit der Akquisition des Pharmagroßhändlers Farmexim und der landesweiten Apothekenkette Help Net habe Phoenix in Rumänien einen neuen Markt erschlossen, sagte Oliver Windholz, Vorsitzender des Vorstands der Phoenix Pharma SE gestern bei der Vorstellung der Bilanz.

In Serbien kamen über 600 Beschäftige durch die Übernahme einer Apothekenkette hinzu. Die Zahl der Beschäftigten insgesamt erhöhte sich von 34.000 auf 37.000 Mitarbeiter. Am Standort Mannheim beschäftigt Phoenix etwa 800 Mitarbeiter. In Deutschland gibt es 20 Phoenix-Vertriebszentren.

"Mit über 2500 Apotheken sind wir in Kontinentaleuropa führend und bieten unseren Kunden flächendeckend attraktive Dienstleistungen und professionelle Beratung an", so Windholz. Die Gesamtzahl der Apotheken legte gegenüber dem vergangenen Jahr um mehr als 400 zu.

Sie seien zentraler Bestandteil der Strategie. Ziel des Unternehmens sei es, so noch näher an die Endkunden heranzurücken.

Für das laufende Jahr zeigte sich Windholz optimistisch. Man erwarte ein Plus bei Umsatz und Ergebnis.


Mannheim: Ergebnis von Röchling geht deutlich zurück

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Von Harald Berlinghof

Mannheim. Der Kunststoffspezialist Röchling mit Hauptsitz in Mannheim hat für 2018 eine durchwachsene Bilanz vorgelegt. Man ist zwar beim Umsatz im neunten Jahr in Folge gewachsen (plus 16,3 Prozent auf 2,14 Milliarden Euro), beim Ergebnis vor Steuern (EBT) hat man aber spürbare Rückgänge hinnehmen müssen (minus 21,2 Prozent auf 105 Millionen Euro). "Die Ergebnisentwicklung befriedigt uns nicht völlig. Da sind wir nicht so happy", umschreibt der Vorstandschef Hanns-Peter Knaebel die Gewinnzahlen des abgelaufenen Geschäftsjahres.

Der Rückgang soll vor allem den Herausforderungen im Automotive-Bereich geschuldet sein. Und wenn dann drei Tage vor der Bilanzpressekonferenz gemeldet wird, dass der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Röchling Gruppe Erwin Doll, der für den Automotive Bereich zuständig ist, aufgrund "strategischer Differenzen über die künftige Ausrichtung des Unternehmensbereichs mit sofortiger Wirkung das Unternehmen verlässt", dann liegt es nahe, darin einen Zusammenhang zu vermuten.

Auch wenn der Vorstandsvorsitzende Professor Hanns-Peter Knaebel dies vehement bestreitet. Man sei einfach unterschiedlicher Meinung gewesen und habe sich auf richtige und wichtige Maßnahmen nicht einigen können. "Dann ist es ganz normal, dass man die Zusammenarbeit beendet", so Knaebel, der schließlich nicht mit Lob für den ausgeschiedenen Kollegen spart.

Die Inhaberfamilie mit über 200 Gesellschaftern jedenfalls habe angesichts der Gewinnrückgänge keinen "Renditedruck" ausgeübt, betont Knaebel. Deren Interesse gelte eher der Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, nicht der rückblickenden Gewinnmarge.

Weltmarktführer ist man bei der SCR-Technologie für Dieselmotoren. Ein neues innovatives Produkt habe man aber auch in der Optimierung der Benzinertechnologie entwickelt. Die so genannte Wassereinspritzung für Benziner verringert den Spritverbrauch um acht bis zehn Prozent.

Dabei wird ein Wassernebel in den Zylinder miteingesprüht, der die Temperatur am Kolben absenkt und den Zündzeitpunkt positiv verändert. Vor allem muss nicht mehr, wie bisher, mit Benzindampf gekühlt werden, was sich am Spritverbrauch ablesen lässt.

Nicht optimal aufgestellt sei man für den amerikanischen Markt. Dort löse der SUV und der Pick Up gerade den herkömmlichen Pkw ab. Insgesamt sei der Automobilmarkt seit Jahren nur noch schwer einschätzbar. Man habe erkannt, dass man die Bewertung der alternativen Antriebstechnologie neu überdenken müsse.

Dabei räumt Knaebel der Brennstoffzelle mehr Potenzial ein als dem reichweitenlimitierten Elektroauto. Perspektivisch soll der Umsatzanteil des Automotive-Bereichs unter 50 Prozent sinken (gegenwärtig 57 Prozent) und das seit zehn Jahren gehegte Pflänzchen der Medical-Sparte 10 bis 15 Prozent erreichen (gegenwärtig 5 Prozent).

Die Herausforderungen für Röchling liegen 2019 auf der Ergebnisebene. Es gelte seine Hausaufgaben zu machen, an Stellenstreichungen sei aber nicht gedacht, so Knaebel.

Das erste Quartal 2019 verlief beim Umsatz positiv. Alle drei Unternehmensbereiche legten beim Umsatz erneut zu, doch beim Gewinn gab es erneut Rückgänge. Nur der Industrial Bereich legte knapp zu.

Die Mitarbeiterzahl erreicht weltweit gegenwärtig die 11.000 er Marke. Trotzdem sei die Unternehmenskultur des Familienunternehmens eher mittelständisch geprägt. Man zeichne sich durch eine hohe Standortloyalität und Standortidentität aus. Bei 90 Standorten weltweit kommen auf jeden Standort rechnerisch nur rund 120 bis 130 Mitarbeiter.

Diesel-Skandal: VW und Audi müssen Kunden Neuwagen für Betrugs-Autos liefern

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Karlsruhe/Braunschweig. (RNZ/dpa) Das Oberlandesgericht Karlsruhe hat am Freitag in drei "Dieselfällen" entschieden, dass Verkäufer von Neufahrzeugen mit unzulässiger Abschalteinrichtung nach jahrelanger Nutzung durch die Käufer zur Lieferung von Nachfolgemodellen verpflichtet sind. Die beklagten Autohäuser wurden zur Lieferung eines fabrikneuen, typengleichen Ersatzfahrzeuges aus der aktuellen Serienproduktion gegen Rückgabe des gekauften Fahrzeuges verurteilt.

Die Kläger hatten in den Jahren 2009, 2011 und 2013 Neufahrzeuge der Marken VW (Modelle Touran und Sharan) sowie Audi (Modell A 3) von den jeweiligen Autohäusern erworben und seither genutzt. Sie hatten im Jahr 2016 gegen Rückgabe ihrer Fahrzeuge die Nachlieferung eines Neufahrzeugs der aktuellen Serienproduktion verlangt.

Die Autohäuser hatten sich darauf berufen, die Nachlieferung eines Ersatzfahrzeuges sei unmöglich, weil das verkaufte Fahrzeug nicht mehr in der gleichen Art hergestellt werde. Die Nachlieferung eines Neufahrzeuges sei im Übrigen unverhältnismäßig, da in der Zwischenzeit ein Software-Update zur Verfügung stehe, nach dessen Aufspielen die von den Käufern geltend gemachten Beanstandungen beseitigt seien.

Nach Auffassung des Gerichts waren die Fahrzeuge bei Übergabe an die Käufer mit einem Sachmangel behaftet, da die Motorsteuerung der Fahrzeuge eine unzulässige Abschalteinrichtung aufwies.

Der Bundesgerichtshof hatte in einem Hinweisbeschluss vom Januar die Ansicht vertreten, dass der Anspruch eines Käufers einer mangelhaften Sache auf Beschaffung einer gleichwertigen Sache auch die Nachlieferung eines fabrikneuen, typengleichen Ersatzfahrzeuges aus der aktuellen Serienproduktion umfassen kann, sofern das bei Vertragsschluss maßgebliche Modell nicht mehr produziert wird. Das Oberlandesgericht hat sich dieser Auffassung angeschlossen.

Den Hinweis auf die Software-Updates ließ das Gericht nicht gelten. Maßgeblich sei der Zeitpunkt des Nacherfüllungsverlangens beziehungsweise des Ablaufs der gesetzten Nacherfüllungsfrist. Zu diesem Zeitpunkt habe das Software-Update den Autohäusern noch nicht zur Verfügung gestanden.

Wie das Gericht weiter urteilte, sind die Käufer für die mit dem mangelhaften Fahrzeug zurückgelegten Kilometer nicht zur Zahlung von Nutzungsersatz verpflichtet. Die Revision zum Bundesgerichtshof wurde zugelassen.

Der Autobauer Volkswagen stellt sich nach der bundesweit ersten Musterfeststellungsklage im Diesel-Skandal auf einen langwierigen Prozess ein. Das Unternehmen rechne mit einer Verfahrensdauer von mindestens vier Jahren, sagte ein VW-Sprecher am Freitag. Nach VW-Angaben haben sich mittlerweile rund 420.000 Verbraucher der Klage angeschlossen.

Ein mögliches rechtskräftiges Urteil kann aus Sicht von Volkswagen nur die Basis für eventuelle Einzelklagen sein. Eine Feststellung möglicher individueller Schadenersatzansprüche sieht VW deshalb nicht vor 2024. Die Rechtsposition des Konzerns bleibt indes gleich. "Aus unserer Sicht haben die Kunden keinen Schaden erlitten, da alle Autos im Verkehr genutzt werden können und sicher sind", sagte der VW-Sprecher.

Die Klägerseite sieht das anders. Volkswagen habe betrogen und schulde geschädigten Verbrauchern dafür Schadenersatz, so Verbraucherschützer Klaus Müller müsse.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Wie Richard David Precht den Sozialstaat retten will

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Von Barbara Klauß

Heidelberg. Die Digitalisierung der Arbeitswelt werde Millionen Arbeitsplätze kosten, meint der Philosoph und Autor Richard David Precht (54). Seine Idee zur Rettung des Sozialstaates: ein bedingungsloses Grundeinkommen, finanziert über eine Finanztransaktionssteuer.

Herr Precht, wie sieht Ihrer Meinung nach die Arbeitswelt in Zukunft aus?

Sie wird sich durch die Digitalisierung gravierend verändern. Alle Arbeiten, die man in kurzer Zeit lernen kann, für die man kein besonderes Talent braucht, werden digitalisiert. Ausgenommen sind nur die Berufe, bei denen es Menschen lieber mit Menschen zu tun haben als mit Maschinen: also etwa Rezeptionisten in teuren Hotels, Kindergärtner oder Hausärzte.

Was folgt daraus?

In Deutschland gibt es allein 2,7 Millionen Bürokaufleute, von denen man einen erheblichen Teil bald nicht mehr braucht. Fahrdienstleister machen Taxi- und Busfahrer überflüssig. Millionen von Leuten arbeiten in Berufen, die es in Zukunft nicht mehr gibt. Natürlich entsteht auch neue Arbeit. Aber wer bei der Sparkasse hinterm Schalter stand, wird nicht plötzlich Big-Data-Analyst. Es werden also sehr viele Menschen arbeitslos.

>>>Lesen Sie hier, was Armutsforscher Butterwegge zum Grundeinkommen sagt<<<

Das sind ja aber alles nur Annahmen. Es gibt auch Beobachter, die davon ausgehen, dass in Zukunft mehr Menschen erwerbstätig sein werden …

Ich halte diese Positionen für falsch. Es bringt nichts, auszurechnen, wie viel Arbeit wegfällt und wie viel neu entsteht. Das gleicht sich nicht aus - weil es sich eben nicht um dieselben Menschen handelt.

Sie gehen davon aus, dass wegen der Massenarbeitslosigkeit, die Sie erwarten, unweigerlich ein bedingungsloses Grundeinkommen kommen muss?

Ich kenne keine andere Idee zur Rettung des Sozialstaates. Vermutlich werden bald die Parteien aus der Deckung kommen, mit unterschiedlichen Konzepten. Grundeinkommen ist ja nicht gleich Grundeinkommen. Den Liberalen schwebt eine Flatrate für den Sozialstaat vor: 1000 Euro für jeden. Damit hätte jemand, der heute Hartz-IV bekommt und in München lebt, rund 200 Euro im Monat weniger. Bei der Linken ist der Betrag deutlich höher.

Sie sprechen von mindestens 1500 Euro. Was ändert sich in der Arbeitswelt, wenn jeder jeden Montag diesen Betrag bekommt?

Der Arbeitsanreiz steigt. Ich stelle mir vor, dass das Grundeinkommen steuerlich nicht angerechnet wird. Dann könnte man 800, vielleicht 1000 Euro im Monat steuerfrei dazu verdienen. Eine Krankenschwester, die halbtags arbeitet, käme dann mit dem Grundeinkommen auf 2500 Euro netto - wesentlich mehr als heute. Das wäre ein Anreiz, den Beruf zu ergreifen. Oder Bäcker: Die haben Probleme Leute zu finden, die für wenig Geld nachts in der Bäckerei stehen. Wenn es aber ein Grundeinkommen gibt, arbeiten sie eben nur drei Nächte die Woche - verdienen aber mehr als heute. Das bringt eine Belebung des Arbeitsmarktes.

Aber die Leute werden doch dann nicht unbedingt Krankenschwester oder Bäcker. An den Arbeitsbedingungen und -zeiten ändert das Grundeinkommen ja nichts. Vielleicht verdienen sie sich lieber als Webdesigner etwas dazu.

Aber nicht jeder kann Webdesigner sein. Manche können besser Brot backen.

Der Gedanke ist ja schön, dass jeder machen kann, was ihm liegt - und nicht darauf angewiesen ist, damit seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Aber was passiert mit einer Gesellschaft, wenn jeder nur noch das macht, was ihn interessiert? Wird dann wirklich noch jemand Bäcker? Oder Installateur?

Da mache ich mir keine großen Sorgen. Ich glaube sogar, dass das Handwerk einer der Profiteure der Digitalisierung ist. Handwerker werden in Zukunft noch deutlich besser bezahlt werden als jetzt.

Ich habe andere Sorgen. Ich bin ja nicht mit allem glücklich, ich sehe durchaus die Kehrseiten des Grundeinkommens. Erstens können wir es erst einführen, wenn die Arbeitslosigkeit tatsächlich steigt. Sonst würde es nur die Teuerung befeuern. Zweitens ist der Arbeitsplatz für viele ein sozialer Ort, an dem sie Kollegen treffen, sich unterhalten. Das geht durch die Digitalisierung verloren und kann mit dem Grundeinkommen nicht aufgefangen werden.

Ein weiterer Kritikpunkt am Grundeinkommen ist die Aufhebung der Leistungsgesellschaft …

Die Leistungsgesellschaft wird nicht durch das Grundeinkommen aufgehoben - sondern durch die Digitalisierung. Das Grundeinkommen reagiert darauf.

Ja, aber damit das Grundeinkommen funktionieren kann, muss Leistung gesellschaftlich neu bewertet werden.

Mit der Leistungsgesellschaft, die wir im Augenblick haben, hadere ich ohnehin. Sie ist nämlich keine. Nehmen sie Kinder von Millionären: Die sind sehr reich ohne eine Leistung erbringen zu müssen. Auf der anderen Seite wird harte, schwere Arbeiten wie Altenpflege sehr schlecht bezahlt.

Nichtsdestotrotz ist der Leistungsgedanke eine Triebfeder, die dazu beiträgt, Wohlstand zu bewahren.

Aber dieser Leistungsgedanke ist doch nicht weg. Nach wie vor wird es Leute geben, die 100.000 Euro im Jahr und mehr verdienen möchten. Die können immer noch IT-Spezialisten oder Projektmanager werden. Deren Motivation verschwindet nicht, nur weil sie 1500 Euro Grundversorgung haben. Verschwinden wird nur die Erwartungshaltung an alle, eine geldwerte Leistung zu erbringen.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktionieren soll.

Wir stehen doch mit dem Rücken an der Wand. Wir führen das Grundeinkommen ja nicht ein, weil es eine hübsche philosophische Idee ist. Wir führen es ein, weil unser Rentensystem und unser Krankensystem kaputt gehen. Weil die Anzahl derer, die einzahlen werden, viel zu niedrig ist im Vergleich zur großen Zahl an Menschen, denen wir etwas auszahlen müssen.

Mancher Kritiker meinen, dass das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat erst richtig zerstört.

Das ist die Kritik von einigen älteren Linken. Sie denken, weil das Grundeinkommen in Amerika eine neoliberale Idee ist, wäre es ein Anschlag auf den Sozialstaat.

Diesen Kritikern geht es darum, dass sich Leistungen nach dem individuellem Bedarf richten sollten, dass etwa jemand, der behindert ist oder in einer teuren Stadt lebt, mehr bekommt.

Ja, ihnen gefällt der Gedanke der Gleichbehandlung nicht. Aber was soll daran schlimm sein, wenn alle mehr haben?

Es geht um Gerechtigkeit.

Die eine Gerechtigkeit existiert nicht. Vielmehr gibt es zwei Pole. In der liberalen Vorstellung muss jeder die gleichen Chancen haben. Was dabei herauskommt, ist egal. In der sozialistischen Vorstellung sollte jeder am Ende möglichst gleich viel haben. Alles andere wird irgendwo in der Mitte ausgehandelt.

Wenn jeder abgesichert ist und Erwerbsarbeit nicht mehr diesen Stellenwert hat - besteht dann nicht die Gefahr, dass man Menschen, die nicht allein in der Lage sind eine Arbeit zu finden, nicht mehr dabei unterstützt?

Ich kämpfe politisch dafür, dass das nicht so ist. Es reicht ja nicht aus, das Grundeinkommen einzuführen, um alle Probleme zu lösen. Wir müssen an mehreren Schrauben drehen - und etwa unser Bildungssystem radikal verändern.

Inwiefern?

Wir müssen es neu ausrichten. Wir müssen die Schüler motivieren, etwas zu tun, was sinnvoll für sie ist, worin sie vorkommen, was ihrer Neugier und ihrer Lust entspricht. Das zu fördern wird eine ganz wichtige Aufgabe des Bildungssystems sein. Dieser Aufgabe kommt es bislang nicht ausreichend nach.

Info: Richard David Precht ist am Montag, 27. Mai, um 20 Uhr zu Gast im DAI in Heidelberg. Er spricht mit Tobias Kollmann, Inhaber des Lehrstuhls für E-Business und E-Entrepreneurship an der Universität Duisburg-Essen, über Utopien, Chancen und Risiken der digitalen Gesellschaft.

Heidelberg: Das ist der Stil von Designer Leon Emanuel Blanck

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Von Noemi Girgla

Mannheim. Begonnen hat alles mit einer unkonventionellen Idee und einer Nähmaschine. Heute gehört ihm ein Unternehmen, das einen soliden sechsstelligen Jahresumsatz vorweisen kann. Leon Emanuel Blanck ist 34 Jahre alt und hätte sich noch vor zehn Jahren nicht träumen lassen, wohin ihn sein Weg einmal führt - nämlich um die ganze Welt. 20 ausgewählte Boutiquen, darunter in New York, Tokyo, Moskau, Schanghai und Los Angeles führen seine Werke. Dabei handelt es sich nicht um Stangenware. Während seines Modedesignstudiums in Mannheim entwickelte der junge Designer im Zuge eines Drapier-Kurses eine eigene Technik, die er "Anfractuous Distortion", gewundene Verdrehung, nannte.

Was seine Prüfer kritisch beäugten, wurde schnell zum Selbstläufer in der avantgardistischen Modeszene. Blanck hält sich nicht an Schnittmuster oder Größentabellen. Er drapiert seine Stoffe direkt am Körper, sieht wie sie fallen, um mit dem Stoff immer näher an den Körper heranzugehen und diesen zu umspielen. Seine Ambition ist, eine zweite Haut zu schaffen, dabei jedoch nicht in der Bewegungsfreiheit einzuschränken. Die Nähte folgen keinen Regeln, sondern dem anatomischen Vorbild. Dabei entsteht ein Wechselspiel von Körper, Stoff und Bewegung.

Seinen Stil kennzeichnet ein eigener Charakter. Er bevorzugt ehrliche Materialien, wie Baumwolle und Leder, die er dann mit Epoxid-Harzen versteift, um ihnen Stabilität zu verleihen. "Das geht mit jeder Faser", erläutert der Avantgardist, "alles was man braucht, ist ein Vorbild." Damit meint er nicht etwa Luigi Colani, dessen Werke er schon immer bewunderte und die ihn inspirierten, sondern vielmehr ein natürliches Vorbild, eine interessante Silhouette, die es sich abzuformen lohnt. Form, Verhältnisse und Linienführung sprechen den Individualisten an, inspirieren ihn. "Meine Technik lässt sich auf alles anwenden, alles hat die gleiche DNA", erklärt er.

Noch bis Ende des vergangenen Jahres befand sich Blancks Atelier in Heidelberg, wo er neun Mitarbeiter beschäftigte. Im November 2018 war es dann Zeit für einen Ortswechsel. Nicht aus wirtschaftlicher Motivation heraus. Er hatte schlichtweg den Fundus seiner Heimatstadt ausgeschöpft und war auf der Suche nach einem neuen "Input". "Nach Berlin zu gehen, war eine gemeinschaftliche Entscheidung von mir und meinem Team", erklärt er den Standortwechsel. "Wäre ich allein gewesen, hätte ich mir auch vorstellen können, ins Ausland zu gehen. Von wo aus ich arbeite, ist relativ egal." Das größte Potenzial, um die Design-Linie voranzubringen, sahen alle in Berlin, wohin ihm die Hälfte seines Teams folgte. Das neue Atelier, in dem der Selfmademan jetzt mit sieben Mitarbeitern und drei Praktikanten arbeitet, liegt in Lichtenberg, etwas außerhalb des Zentrums der Metropole.

Die ersten drei Monate nach dem Umzug bewegten er und sein Team sich nach eigenen Angaben arbeitstechnisch auf einem Null-Stand. "Aber nun ist viel mehr geplant. Vieles, vieles wird kommen, aber es wird etwas dauern, es ist eben kein Massenprodukt", charakterisiert Blanck die momentane Situation. Auch wenn Berlin teurer ist, die Wege weiter sind, alles anstrengender geworden ist und er sein Team teilweise neu aufbauen musste, bleibt sein Blick in die Zukunft entspannt, hält er an seinen Visionen fest - und zuzutrauen ist ihm so gut wie alles.

Begründet hat das "Design-enfant-terrible" sein Unternehmen direkt nach Abschluss seines Studiums. Von einem Onkel bekam er ein Darlehen von 10.000 Euro als Startkapital, von der Bank einen Kleinkredit von 7000 Euro. Davon wurden Nähmaschine, Schnitttisch und Stoffe angeschafft sowie die Miete für den Showroom in Paris gezahlt. "Mit dem, was ich heute weiß, würde mir die Hälfte reichen", grinst der sympathische Lockenkopf verschmitzt, "ich habe viel Geld für unnötige Sachen ausgegeben. Aber so bin ich, ich muss meine eigenen Erfahrungen machen." Längst ist das Startkapital zurückgezahlt. Schon nach zwei Jahren war das Unternehmen so weit, dass sein Gründer von dem Erlös leben konnte und die ersten Mitarbeiter einstellte. Eine GmbH ist im Moment nicht geplant, da dies einige Abläufe verkomplizieren würde. "Man ist so verliebt in seine eigenen Sachen, dass es schwerfällt auch nur etwas aus der Hand zu geben", erläutert der Designer.

Was er sich jedoch durchaus vorstellen könnte, wäre ein finanzkräftiger Partner oder Investor, mit dem er gemeinsam ein Design-Imperium verwirklichen könne. Auch hier ist Blanck "picky", wählerisch, wie er von sich selbst sagt. Der potenzielle Partner müsse nicht nur Geld, sondern auch ein gewisses Know-how und Liebe zum Design mitbringen, außerdem seriös und vertrauenswürdig sein. Er möchte nicht mit jedem arbeiten und nicht jeden Kompromiss eingehen. "Ich lebe eben eine wirtschaftliche Unwirtschaftlichkeit", lautet seine ironische Selbsteinschätzung.

Das günstigste T-Shirt des Wahl-Berliners kostet 300 Euro, die günstigste Lederjacke 2600 Euro und auf seinen 250 Quadratmetern in Lichtenberg lagert Ware von mehreren hunderttausend Euro. Dennoch wäre ein finanzstarker Partner eine gute Möglichkeit, um weitere Ideen auf den Weg zu bringen. Derzeit träumt er davon, ein Boot oder Motorrad zu entwerfen, das seine Handschrift trägt. "Meine Technik lässt sich auf alles anwenden, ob Haus oder Klobürste. Alles was ich brauche, ist etwas, das mich inspiriert und das ich abformen kann. Damit lässt sich ein ganzes Universum kreieren", schwärmt der Visionär. Sollte sich dafür kein Mitstreiter finden, meint er schlicht: "Es geht auch anders, dauert dann nur eben etwas länger."

Dass er nicht nur Kleidung entwerfen kann, hat der Allrounder längst bewiesen. Als Vorprodukt seines Schaffens entstehen anatomisch geformte Skulpturen, die er entweder zerstören oder weiter ausarbeiten kann. Seit dem 25. April ist eine solche in einer Privatgalerie in Berlin-Mitte zu bewundern. Der stolze Preis: ein hoher fünfstelliger Betrag. "Eine Auftragsarbeit wäre schwierig", räumt der Kreative ein. "Ich wüsste gar nicht, wie das entstehen sollte." Allen künstlerischen Allüren zum Trotz ist Blanck auf dem Boden geblieben. Dass er an seinen Produkten wesentlich mehr verdienen könnte, ist ihm bewusst, aber er will sich nicht verkaufen, seine Individualität bewahren, einzigartig bleiben.

Hightech gegen Tradition: So betrifft die Digitalisierung Bauern im Neckar-Odenwald-Kreis

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Von Anna Manceron und Dominik Rechner

Neunkirchen. Auf dem Traktor von Sören Karoske gibt es kaum etwas, das nicht blinkt und keine bunten Tasten hat. Nur das Lenkrad kommt ohne Schnickschnack aus - und wirkt damit wie aus der Zeit gefallen. Die Fahrtrichtung bestimmt der 47-jährige Landwirt selbst, aber für fast alles andere hat er einen Knopf. Ganz vorne an der Heckscheibe klebt ein etwa DIN-A4-großes Tablet. Rechts neben dem Fahrersitz sind zwei Bildschirme, ein Joystick und ein Wlan-Gerät angebracht. Der kleine Bordcomputer weiß genau, wer gerade am Steuer sitzt und was der Landwirt an diesem Tag noch zu erledigen hat.

Neunkirchen - ein kleines Dorf im Neckar-Odenwald-Kreis. Bis zur nächsten Stadt Mosbach sind es rund 15 Autominuten. Den Hof bewirtschaftet Sören Karoske gemeinsam mit seinem Schwiegervater. Walter Leibfried führt den Betrieb nun in der vierten Generation. Vor knapp acht Jahren stieg auch sein Schwiegersohn mit ins Geschäft ein. Früher arbeitete Karoske als Kfz-Mechaniker. Jetzt kümmert er sich um den Getreideanbau und bewirtschaftet etwa 135 Hektar Ackerfläche. Walter Leibfried und seine Frau sind für die Rinderzucht verantwortlich. Rund 220 Kälber ziehen sie auf dem Hof groß, um sie dann an den Schlachter zu verkaufen.

Auf einem Hügel oberhalb des Dorfs wächst der Winterweizen, den Sören Karoske heute spritzen will. Zügig fährt er den Feldweg entlang, biegt ab und bleibt stehen. Langsam rollt der Traktor aufs Feld, die schweren Räder bohren sich in die vom Regen aufgeweichte Erde. Der Landwirt gibt Gas - und löst damit einen Alarm aus. Schrilles Piepen durchdringt die Fahrerkabine, und die Bildschirme leuchten auf.

Warum die Technik plötzlich verrückt spielt, verrät ein Blick auf das Tablet. "Keine Zulassung auf dieser Kultur", steht dort. Konkret heißt das: Das Pflanzenschutzmittel, das sich im Spritztank befindet, ist für den Winterweizen nicht geeignet. "Oder es ist zu viel Flüssigkeit im Tank", vermutet Karoske. Und zu viel spritzen, das möchte der Landwirt auf keinen Fall. Deswegen haben sie die ganzen Hightech-Geräte ja gekauft.

Die digital gesteuerte Spritzmaschine hilft Sören Karoske dabei, sparsamer mit Unkrautvernichtungsmitteln umzugehen. "Das GPS-System sorgt dafür, dass ich nicht zweimal an der gleichen Stelle spritze", erzählt er. Mithilfe von Satelliten misst das Programm sein Feld aus und berechnet, wie viel Flüssigkeit der Bauer für diese Fläche braucht. Das gilt auch für den vernetzten Düngerstreuer, den er verwendet. Das Tablet zeigt an, wo er bereits gedüngt hat und wo sich die Spur zu überlappen droht. "Damit verbrauchen wir etwa zehn Prozent weniger Düngemittel als vorher", sagt Schwiegervater Walter Leibfried.

Vor gut fünf Jahren entschied sich die Familie dazu, zumindest teilweise auf digitale Landwirtschaft umzusteigen. Für Sören Karoske bedeutet das vor allem eins: weniger Papierkram. Früher musste sein Schwiegervater gefühlt tausend Zettel ausfüllen, wenn er vom Feld nach Hause kam. Welchen Acker er bearbeitet hat, welches Getreide dort wächst und was gespritzt wurde - diese Informationen gibt Karoske heute meist schon auf dem Feld in sein Tablet ein.

Die Daten werden dann auf einer externen Cloud gespeichert und sind durch ein Passwort geschützt. Angst, dass der Server gehackt wird und andere Unternehmen ihre geschäftlichen Daten missbrauchen könnten, haben die beiden Bauern nicht. "Die Datenhoheit liegt beim Landwirt", betont Walter Leibfried. "Was sollen andere denn auch damit anfangen?", fragt Sören Karoske. "Wer vor so etwas Angst hat, der sollte auch kein Smartphone benutzen."

Anfällig für Fehler sei die Technik trotzdem, erklärt sein Schwiegervater. Wenn es ein Problem mit einer Maschine oder Software gibt, könne das den Betrieb schon mal für ein paar Stunden lahmlegen. "Meistens kontaktieren wir dann als erstes den Händler", berichtet Leibfried. Denn die Hersteller seien oft nur schwierig zu erreichen. Und selbst wenn: "Die wissen manchmal selbst nicht, wo das Problem liegt", sagt Karoske. "Wenn die Technik funktioniert, ist sie eine große Arbeitserleichterung", betont er. Aber wenn nichts mehr geht, könnte ich Haare lassen."

Für die Maschinen braucht Sören Karoske schnelles Internet - vor allem auf dem Feld. Ein 5G-Mobilfunknetz sei "nicht an jeder Milchkanne notwendig", hat Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU) vor Kurzem gesagt. Ein markiger Spruch, mit dem die Politikerin vor Journalisten punkten wollte. Sören Karoske findet das nicht lustig. "Am Waldrand gibt es Stellen, da ist für mein Handy tote Hose", erzählt er. "Wenn dann etwas passiert, kann ich nicht telefonieren."

Eine ganz andere Philosophie von Landwirtschaft vertritt Meinrad Rödel aus Buchen im Neckar-Odenwald-Kreis. Er hat seinen Hof 1988 auf Bio-Landbau umgestellt und kommt komplett ohne digitale Infrastruktur aus. Der Demeter-Bauer besitzt einen kleinen, beschaulichen Hof mit 20 Rindern, die im Winter im Stall stehen und von denen die meisten im Sommer auf der Weide grasen.

Von den 60 Hektar Wiesen- und Ackerbaufläche nutzt Meinrad Rödel etwa die Hälfte für den Anbau von Weizen, Dinkel, Hafer, Gerste oder Emmer sowie Kleegras als Futter für seine Tiere. Den größten Teil des Getreides bringt er zur BAG-Franken in der Baulandgemeinde Rosenberg, eine zentrale Getreidevermarktungsstelle. Die Rinder verkauft er an verschiedene Schlachthöfe. Mit Ausnahme von einem Rind pro Jahr: Das bringt er selbst zum Schlachthof nach Schefflenz (zwischen Mosbach und Buchen) und vermarktet das Fleisch dann direkt. "Früher habe ich die Tiere alle direktvermarktet", sagt Rödel. Doch der Aufwand sei ihm mittlerweile zu groß.

Die Erlöse aus dem Getreide- und Rindfleischverkauf machen rund 80 Prozent seines Gesamteinkommens aus. Allein von der Landwirtschaft kann Meinrad Rödel nicht leben. Nebenberuflich ist er in der Landschaftspflege tätig und zertifiziert Bio-Bauern. "Um meinen Lebensunterhalt nur durch die Landwirtschaft zu sichern, müsste ich mindestens doppelt so viele Rinder haben und deutlich mehr Getreide und Gemüse wie zum Beispiel Kartoffeln anbauen", erklärt der Bio-Landwirt. Zumal ein größerer Hof eben auch mit einem Mehr an Arbeit und Personal verbunden wäre. Um seinen Hof zu bewirtschaften, braucht es dagegen nur zwei Leute: seine Schwester und ihn.

Die landwirtschaftliche Arbeit läuft bei den Rödels noch ganz traditionell. "Meine Geräte sind nicht anders als bei konventionellen Landwirten. Bei einer Nutzfläche bis 200 Hektar sind das überall die gleichen", sagt der Bio-Bauer zwar. Doch während bei Landwirten wie Walter Leibfried und Sören Karoske GPS und Co. längst zu den Standardhilfsmitteln gehören, setzt Rödel neben Geräten wie Traktor oder Sämaschine - ohne die kein Landwirt auskommt - auf sein geschultes Auge und Handarbeit.

Düngerstreuer mit GPS oder Kraftfutterautomaten sucht man bei ihm vergebens. "Ich fahre mit Augenmaß." Gefüttert werden seine Tiere ganz traditionell von Hand mit der Mistgabel - wenn sie nicht gerade auf der Weide grasen. Um zu wissen, wo er mehr düngen muss, brauche er kein GPS, sagt Rödel. Aufgrund seiner jahrzehntelangen Erfahrung weiß er ganz genau, "wo schlechter und wo guter Boden ist." Wenn er mit dem Schlepper Mist auf den Feldern aufbringt, fährt er dort, wo der Boden schlechter ist einfach langsamer. So kommt an diesen Stellen mehr Mist an. Auf dem besseren Boden verfährt er genau umgekehrt.

Doch bei aller Bewunderung für die traditionelle Landwirtschaft - Fakt ist: Die Digitalisierung ist aus dem Alltag vieler Landwirte nicht mehr wegzudenken. Im Gegensatz zu Sören Karoske sieht Meinrad Rödel darin aber nicht hauptsächlich eine Erleichterung von Arbeitsschritten. "Die Digitalisierung ermöglicht es, mit weniger qualifiziertem Personal mehr Fläche zu bewirtschaften." Als Beispiel nennt der Buchener Landwirt die Düngung mit GPS. "Das Personal muss sich nicht mehr gut auskennen, das Know-how übernimmt die Maschine", sagt Rödel. Die Angestellten müssten nicht mehr wissen, wo mehr und wo weniger Dünger gestreut werden müsse, sondern nur noch den Schlepper bedienen können.

Walter Leibfried aus Neunkirchen ist da ganz anderer Meinung: "Die Maschine macht nur, was man ihr sagt", betont er. Wenn es ein Problem gebe, müsse der Mensch eingreifen und es beheben können. Dass das Personal weniger gut ausgebildet sei, hält er für falsch. Im Gegenteil: Die Anforderungen seien in den letzten Jahrzehnten sogar deutlich gestiegen. "Die Technik ist so viel komplexer geworden", sagt der 68-Jährige. "Ein Blindgänger kann da nicht das Optimum rausholen, dafür muss man sich schon gut auskennen."

Rödel hingegen hält die Entwicklung in Richtung "Smart Farming" für sehr bedenklich. Dabei denkt er insbesondere an den "Dünger-Wahn" der konventionellen Landwirtschaft. Die Böden in Deutschland würden immer schlechter. "Immer mehr düngen und mit mehr Aufwand spritzen" - das sei die Devise des Mainstreams. Und die führe zu immer größeren Umweltproblemen. Nicht umsonst warne das Umweltbundesamt: "Bei unsachgemäßer Handhabung können mit der Lagerung und Ausbringung von Düngemitteln eine ganze Reihe schwerwiegender Beeinträchtigungen für die Umwelt verbunden sein", heißt es dort.

Vor allem Stickstoff und Phosphor können sich demnach negativ auf die Bodenfruchtbarkeit und die Qualität der Gewässer auswirken. Bio-Landwirte wie Rödel düngen deshalb nur mit natürlichen Düngemitteln (Mist und Gülle) und spritzen biodynamische Spritzpräparate wie Hornkiesel oder Hornmist in homöopathischen Dosen. "So bekommt der Boden nur die Nährstoffe, die er wirklich braucht", sagt er. Natürlich müsse man mit der Natur respektvoll umgehen, meint Walter Leibfried. Trotzdem weist er die Kritik, es werde zu viel gedüngt, von sich. "Die Qualität der Nahrungsmittel ist gestiegen, sonst wäre unsere Lebenserwartung nicht so hoch", meint er. Und: "Wir müssen immer mehr Menschen ernähren. Das geht nur mit höheren Erträgen."

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