Von Harald Berlinghof
Mannheim. Ringsum wird konzentriert geschraubt, geschweißt, geklebt. Die älteste Montagehalle im Mannheimer Evobus-Werk von Daimler aus dem Jahr 1910 steht mit ihrer Backsteinfassade unter Denkmalschutz. Im Innern ist alles hell erleuchtet, die "Werker", wie die Arbeiter bei Daimler bezeichnet werden, finden hochmoderne Arbeitsplätze vor. Und man staunt. Denn Roboter sind fast keine zu sehen. Weder in der Vormontage noch in der Haupt- und Endmontage. Der weltweit erfolgreiche Linienbus Citaro "Made in Mannheim" inklusive der Elektrovariante entsteht quasi in Handarbeit. Rund 14 bis 18 Busse verlassen so täglich das Mannheimer Buswerk, wo rund 880 Mitarbeiter in der Produktion beschäftigt sind. Unter ihnen sind gegenwärtig zwei Elektro-Citaros, genannt eCitaro. Man strebt an, die Produktion von Elektrobussen im nächsten Jahr zu verdoppeln, wie Philipp Heyne, Projektleiter Produktion eCitaro erläutert.
Der Mercedes-Benz eCitaro ist lokal emissionsfrei, leise und erfolgreich. Im Herbst 2018 hatte er Weltpremiere. Er profitiert von der Basis des herkömmlichen Citaro-Diesel-Linienbusses mit mehr als 50.000 verkauften Einheiten. Und der noch kein Jahr alte eCitaro ist ebenfalls ein echter Citaro mit all seinen bewährten Vorteilen, wie man bei Daimler versichert. Je nach Streckenprofil erzielt der eCitaro eine Reichweite von 170 Kilometern im Sommer. Das ist für viele Stadtbuslinien-Strecken ausreichend. Unter Idealbedingungen fährt er sogar 280 Kilometer weit ohne Aufladung.
Den Citaro gibt es in unzähligen Varianten, die sich bis in die kleinsten Details der Gestaltung und Ausstattung an den Wünschen der Kunden orientieren. Und es gibt ihn mit vier unterschiedlichen Antriebsarten: den herkömmlichen Diesel, mit Gas betrieben, vollelektrisch und als Diesel-Hybrid mit dazwischen geschaltetem Elektromotor. Alle Busse laufen hintereinander und bunt gemischt auf denselben Produktionslinien in drei verschiedenen Hallen. Das hat zur Folge, dass die "Werker" nicht ständig die selben Handgriffe erledigen müssen. Je nach Antriebsart und Ausstattung ist flexibles Arbeiten gefragt. Das nimmt der Arbeit viel von ihrer Eintönigkeit, stellt aber auch höhere Anforderungen an die Kenntnisse der Arbeiter.
Bevor das Gerippe des Busses als tragendes Stahlgerüst in die Vormontage geht, erfolgt eine so genannte Phosphatierung der einzelnen Teile. Dabei handelt es sich um ein weitverbreitetes Verfahren in der Oberflächenbehandlung. Es dient einem verbesserten Korrosionsschutz, einer verbesserten Anhaftung, einer Reib- und Verschleißminderung sowie der elektrischen Isolation. Nachdem die einzelnen Elemente zum Stahlgerippe des Citaro verschweißt sind, wird die gesamte Konstruktion in einer kathodischen Tauchlackierung noch einmal gegen Rost geschützt. Dazu wird das Gerippe 15 Minuten in einem 16 Meter langen, vier Meter breiten und sechs Meter tiefen Tauchbecken geschwenkt. Die oft hohlen Stahlprofile sind mit 1000 Bohrungen versehen, damit die Flüssigkeit jeden Quadratzentimeter des Metalls auch im Innern der Rohre und Träger erreicht. Die Bohrungen müssen so berechnet werden, damit keine Luftblasen in den Profilen verbleiben. Die Trocknung erfolgt bei 90 Grad, das Einbrennen bei 220 Grad Celsius.
Entlang der Produktionslinien, über welche die Busse gerollt, gezogen oder geschoben werden, wird auf zwei Ebenen gearbeitet. Dach und Seitenscheiben oder Unterboden und Innenraum können so gleichzeitig bearbeitet werden. In der Hauptmontagehalle erhalten die Busse auch ihr "Rückenmark" und ihre Intelligenz. Ein Kabelbaum mit insgesamt 150 Kilogramm Kabel wird zentral eingesetzt, ausgerollt und im Unterboden verbaut. Er zieht sich von der Fahrerkabine bis ins Heck. Die "Werker" sprechen vom "Rückenmark" des Busses, die Ingenieure vom "Querkanal".
In der dritten Montagehalle erfolgen die "Software-Beladung" und die Finishing-Arbeiten. Dazu gehören umfassende Tests, bevor das Fahrzeug die Halle verlässt. Vor allem die elektrische Anlage muss geprüft werden. Auch das Dachdesign, welches die bis zu acht Samsung-Batterien umhüllt und dem Bus ein aerodynamisches Aussehen gibt, wird hier angebracht. Kratzer in der Lackierung können im Mannheimer Werk ausgebessert werden. Ihre komplette Lackierung erhalten die Busse im Werk Neu-Ulm. Dorthin und wieder zurück nach Mannheim legen die Busse - per Bahn - ihre erste Reise zurück.