Von Friedemann Orths
Bad Rappenau. "Wir tun uns schwer mit dem Wort ,Zelt‘", sagt Matthias Raff. Eine merkwürdige Aussage des Geschäftsführers eines Unternehmens, das sich auf die Herstellung und den Verleih von Zeltsystemen spezialisiert hat - und damit 260 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet. Doch Raff, der seit 2008 einer der vier Geschäftsführer ist, kennt sich aus: Seit 1992 arbeitet er in dem im Bad Rappenauer Ortsteil Fürfeld ansässigen Unternehmen Losberger De Boer. Zwar fing alles 1919 in der Heilbronner Kalistraße mit der Herstellung von Pferdedecken und Zelten an. In 100 Jahren hat sich das Unternehmen jedoch entwickelt, und Raff kann jetzt von "temporären Gebäuden" sprechen, die von den 20 Tochtergesellschaften weltweit produziert werden.
Und das Wort ,Zelt‘ kann den Aluminium-Palästen, die Losberger De Boer in die Wüsten Dubais und Katars für die dortige Kundschaft baut, gar nicht gerecht werden: Im Januar erst hat das Unternehmen ein 335 Meter langes "Gebäude" für eine Messe in Las Vegas aufgebaut. "Der Größe sind keine Grenzen gesetzt", merkt Raff an. Man habe auch schon Aufzüge in die mehrstöckigen Bauten integriert. Stolz zeigt der Geschäftsführer ein gerahmtes Bild im Flur, das eine Konstruktion im Gottlieb-Daimler-Stadion in Stuttgart zeigt: Da wird dann mal eben ein temporäres Gebäude in ein Fußballstadion gebaut.
Selbstverständlich produziert Losberger De Boer auch "normale" Gartenzelte für die Grillparty daheim oder Festzelte für Vereinsjubiläen. Hier kommt das zweite Standbein des Unternehmens ins Spiel: die Vermietung großer Zeltanlagen. "Für kleinere Dinge ist Losberger zu groß", sagt Raff. So verkauft die Firma beispielsweise Festzelte an andere Firmen, die diese dann verleihen. Hier wären die Verwaltung und der Logistikaufwand für das Unternehmen zu hoch, weshalb man sich den Verleih-Markt mit Mitbewerbern teilt. "Die Mitbewerber sind mitgewachsen und wir haben uns arrangiert." Man nutze eine Symbiose, wenn ein kleineres Unternehmen dann ein großes Zelt direkt von Losberger De Boer anmiete, um es ihrem Kunden zur Verfügung zu stellen.
Im Lager stehen rund 780 Tonnen Aluminiumprofile im Wert von etwa drei Millionen Euro zur Verfügung, erklärt Produktionsleiter Dustin Kadlubsky. Die Profile, im Grunde Stangen für die Gerüste der Bauten, werden unter anderem aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland von "sechs bis sieben großen ,Playern‘" geliefert. In Fürfeld angekommen, werden sie mit den vier hauseigenen CNC-Fräsen bearbeitet. Dabei ist in der Werkstatt vom Fenster bis zum Boden fast alles möglich.
Insgesamt kann Losberger De Boer über 700.000 Quadratmeter Fläche "in fast allen Ländern der Welt" vermieten. Darunter mobile Studios für das ZDF, Räumlichkeiten für die Weltklimakonferenz 2017 in Bonn, oder der eben schon erwähnte Palast im Mittleren Osten, komplett mit Aufzug, Teppichen und Marmor. "Da kann es schon mal passieren, dass man drei Jahre an einem Projekt baut, und der Landesfürst dann gar nicht kommt", erzählt Raff. Der kurioseste Auftrag, an den er sich erinnert: "Das war während des zweiten Golfkriegs in der Weihnachtszeit." Damals habe das Unternehmen über eine dreiwöchige Luftbrücke nach Kuwait die Räumlichkeiten für die Weihnachtsfeiern der US-Armee gestellt. Der Auftrag kam am Montag, am Donnerstag wurden vier Sattelauflieger in eine Antonow am Flughafen Frankfurt-Hahn verladen.
Einen Vorteil bei solchen Nacht- und Nebelaktionen bietet da der Standort des Unternehmens. Raff zählt auf: "Mitte Europas, Autobahn, die Nähe zu großer Industrie." Größter Nachteil am Standort Bad Rappenau sei, dass hier die Konkurrenz um Fachkräfte viel größer sei. "Wir tun uns schwer, Bauingenieure zu bekommen", sagt er. Derzeit werden zwischen 15 bis 20 Auszubildende, unter anderem in den dualen Studiengängen Logistik oder BWL, beschäftigt.
Losberger De Boer hat unter anderem Standorte in Straßburg und den Niederlanden. Ein Mitbewerber, De Boer, wurde 2017 erworben, weshalb man munter dabei sei, Synergien zu schaffen.
Geschäft hat die Firma auch während der Flüchtlingskrise 2015 gemacht, als ihre temporären Raumlösungen sehr gefragt waren. "Die Zeltbranche konnte damals am schnellsten reagieren." Als Gewinner will sich Raff jedoch nicht bezeichnen: "Ich glaube eher, dass die Flüchtlinge, die darin unterkommen konnten, die Gewinner waren", sagt er, und fügt hinzu: "Hilfe für Menschen ist eben auch ein Teil unseres Geschäfts - kostenlos liefern können wir nicht."
Im Jubiläumsjahr kann die Firma auf eine lange Geschichte zurückblicken. Als Friedrich Losberger senior 1919 sein erstes Zelt für einen Wanderzirkus baute, hätte er sich wohl nicht ausmalen können, dass seine Nachfolger sich einmal mit dem Wort ,Zelt‘ schwer tun würden.