Von Martin Schäfer
Heidelberg. Mit einem großen Wurf soll die Stadt Köln einen Großteil ihrer Verkehrsprobleme lösen. So zumindest die unkonventionelle Vision der Stadtratsgruppe "GUT", die entlang des Rheins auf einer Gesamtlänge von 33 Kilometern eine Seilbahn vorschlägt.
Unkonventionell deshalb, da es in deutschen Städten kein Vorbild für eine in den Nahverkehr integrierte Seilbahn gibt, die etwa im Berufsverkehr unter Volllast mitfährt. "Meist sind das Verbindungen von A nach B", sagt Thomas Schmeckpeper, Verkehrsreferent von GUT. Etwa die Gondeln über den Rhein bei Koblenz oder in Berlin. Beide zählen zu sogenannten Veranstaltungsseilbahnen. Und kamen so gut an, dass die Bevölkerung ihren Erhalt gefordert hatte.
Bei Infrastrukturmaßnahmen ist das eher eine Seltenheit. Das Seilbahnkonzept in der Universitätsstadt Marburg, das Innenstadt mit dem Campus von Universität und Klinikum verbinden sollte, scheiterte an einer Bürgerinitiative. Parallel zur Europawahl haben die Wuppertaler in einer Bürgerbefragung ein Seilbahnkonzept mit 62 Prozent der abgegebenen Stimmen abgelehnt.
Die Seilbahn sollte den Hauptbahnhof mit der Bergischen Universität und weiter einen Stadtteil verbinden. 2,8 Kilometer, drei Stationen. "Hauptanliegen der Seilbahn war, die Studis aus dem Verkehr herauszunehmen", erklärt Sindy Peukert von der Pressestelle der Stadt Wuppertal. Rund 20.000 Studierende sowie Bedienstete müssen täglich auf den Berg. Schnell formierten sich Bürgerinitiativen Pro und Contra. Das Ansinnen ist erst einmal abgeschmettert. Und so war der Kölner Thomas Schmeckpeper erstaunt und erfreut, wie positiv die Pläne für die Domstadt aufgenommen wurden.
Entlang einer Strecke von 33 Kilometern gondelt die "Rheinpendel" genannte Bahn 21 Stationen links und rechts des Rheins an. 15 Mal wird der Rhein gekreuzt. Bislang nicht viel mehr als eine Idee. Grobe Kostenschätzung: 200 bis 500 Millionen Euro. Das hört sich viel an, doch Seilbahnen sind allgemein kostengünstige Transportmittel. Ein gemeinsamer Antrag von "GUT", CDU, FDP und Grünen machte jetzt zumindest den Weg für eine Konzeptstudie durch ein Ingenieurbüro frei.
Für Schmeckpeper kann dann alles ganz schnell gehen. Für die Planfeststellung rechnet er mit zwei Jahren. Für den Bau einer Pilotstrecke von vielleicht fünf Stationen noch einmal so viel. "In vier bis fünf Jahren könnte ein Teilstück stehen", meint der 34-Jährige. "Mein Eindruck ist, dass viele hier in Köln dankbar waren, dass eine neue Idee in eine festgefahrene Verkehrsdebatte geworfen wurde."
Bislang waren die Erfahrungen von Schmeckpeper eher anekdotischer Art. In Lissabon fuhr er die drei Kilometer lange Seilbahnstrecke und lief anschließend zurück. "Nach wenigen Minuten hatte ich die Seilbahn über mir vergessen. So leise ist sie", sagt er und kommt auf seine Mission zurück: Die Seilbahn ist geräuschfrei, emissionsfrei, staufrei, ampelfrei und ohne Wartezeit. Alle 40 bis 90 Sekunden kommt eine Gondel vorbei.
Wobei "Gondel" erklärungsbedürftig ist: Keine enge 4-Personen-Kabine, sondern geräumig für bis zu 35 Menschen und auch Fahrräder, Kinderwagen, Rollstühle. Die Kabinen bewegen sich mit maximal 22 Stundenkilometern und werden in den Stationen auf unter Schrittgeschwindigkeit abgebremst. Dabei werden sie vom Zugseil gelöst und rollen auf einem Reifensystem heran. Das Benutzen ist barrierefrei. Auch mit Rollstuhl und Kinderwagen ist der Übertritt gut möglich. Unter Umständen hilft hier auch das Personal der Seilbahnstation.
Das größere Hindernis für Seilbahnpläne stecke in den Köpfen, meint Heiner Monheim, Verkehrsexperte und emeritierte Professer der Universität Trier. In Südamerika seien Seilbahnen im Trend, die Verkehrsprobleme schnell wachsender Städte zu lösen. In Deutschland sei das Konzept bei Politikern und Planern noch kaum auf dem Schirm.
Über ein Dutzend Projekte wurden bislang angedacht, doch seien kaum über ein Konzeptstadium hinaus. Ein deutsches Vorzeigeprojekt fehlt.
Die zwei großen Seilbahnanbieter, die Firmen Doppelmayr in Vorarlberg und Leitner in Südtirol, müssen daher immer auf Pilotprojekte in der Ferne verweisen. Etwa Projekte in La Paz (Bolivien), Mexiko oder jüngst Ankara. "Trotz super Aussicht auf die Stadt Ankara ist das ein urbanes Projekt", sagt Michael Tanzer von Leitner - und kein touristisches Projekt. Vier Stationen verknüpfen auf einer Gesamtstrecke von 3,2 Kilometern städtischen Raum. Fahrdauer zehn Minuten, mit dem Auto bräuchte man dreimal so viel.
Tanzer hofft auf Toulouse, wo eine 2,7 Kilometer reichende Seilbahn im Genehmigungsprozess steckt. Betriebsstart wäre im Jahr 2020. Täglich sollen rund 7000 Menschen befördert werden. Betriebszeiten sind von 5:15 Uhr bis Mitternacht geplant. Die Seilbahn würde gewissermaßen über den Fluss Garonne und einen rund 130 Meter hohen Berg eine Abkürzung zwischen zwei Stadtteilen schaffen. Fahrzeit: zehn Minuten. Ein Auto bräuchte rund 40 Minuten. "Seilbahnen sind immer dann im Vorteil, wenn es Barrieren zu überwinden gilt: Fluss, Sumpf, Berg", sagt Tanzer. Der Flächenverbrauch ist gering. Die reine Bauzeit, etwa für das Projekt zur Internationalen Gartenausstellung in Berlin, betrug ein dreiviertel Jahr.
Wenn eine Seilbahn sinnvoll in den ÖPNV integriert ist, dann sieht Heiner Monheim auch hierzulande nur Vorteile: "Sie kriegen kein anderes System, wo alle 40 Sekunden das nächste Fahrzeug kommt." Die Bauzeiten sind kurz. Und Seilbahnen lassen sich theoretisch auch gut zurückbauen. Hindernisse werden überschwebt, was Seilbahnen dazu prädestiniert, topografische Besonderheiten zu "überbrücken". Den Rhein bei Köln, die Weser bei Bremen, die Lahnberge bei Marburg, oder auf den Eselsberg in Ulm. Die Investitionskosten sind gering. Schmeckpeper hat pro Seilbahnkilometer acht Millionen Euro angesetzt. Und aufgrund des hohen Automatisierungsgrades sind die Personalkosten niedrig.
Die Nachteile sind hingegen überschaubar. Die Haltestellen müssen für den sinnvollen Betrieb mit 400 bis 800 Metern weiter auseinander liegen als bei Stadtbussen. Auch ist die "Höchstgeschwindigkeit" mit 22 Kilometern pro Stunde scheinbar gering, macht die Seilbahn in der Stadt aber zum schnellen Transportmittel - da ampelfrei, staufrei und keine Wartezeiten. Eine Seilbahn soll aber nicht bedeuten, warnen Verkehrsplaner, dass Buslinien wegfallen. Es geht um sinnvolle Verknüpfung und Ergänzung. Aus Spargründen wegfallende Buslinien könnten auch dazu führen, dass die Bürgerakzeptanz sinkt.
Ähnlich wie der Kölner Schmeckpeper denkt auch Verkehrsplaner Monheim groß. Er spricht von 30 Seilbahnen für München oder 20 für Frankfurt. Eine einzelne Bahn wäre für Stadtwerke auch uninteressant, meint er. Müssten sie doch dafür eine eigene neue Betriebssparte aufbauen. Vorbilder für ihn sind die Seilbahnnetze in La Paz (Bolivien) oder auch - mit Vorbehalt - die Verbindungsstruktur eines "Skizirkus" in den Alpen. "Sie steigen von einer Bahn in die andere um", sagt Monheim. Die Umsteigestationen stünden an Verknüpfungspunkten mit anderem Verkehr, etwa Züge und Busse. An die Parkplätze an den Ausgangspunkten von Ski-Seilbahnen sollte man dabei nicht denken. "Natürlich sind Seilbahnen nicht allein selig machend", sagt Monheim. Dennoch spreche viel für diesen leistungsfähigen, wenngleich hierzulande wenig beachteten Verkehrsträger.